Vorschlag für eine Änderung der Rechtslage
Version 1.0/4.0, 13.04.2010
Problembewusstsein
Nebenziele, positive Nebeneffekte, weitere Betroffene
Ermittlungsgebot | Auflagen | mögliche Probleme
Nach der massenhaften Aufdeckung von sexuellem (und sonstigem) Missbrauch in v.a. Einrichtungen der katholischen Kirche wurde schnell der Ruf nach einer Verlängerung der Verjährungsfristen für solche Delikte laut.
Aus strafrechtlicher Sicht ist das wenig sinnvoll. Die Begründung für das Eintreten der (Verfolgungs-)Verjährung – die Schwierigkeiten der Durchführung eines erfolgreichen Verfahrens nach sehr langer Zeit – wird durch öffentliche empörung nicht geschwächt. Andererseits ist es schwer hinnehmbar, dass der Schwarze Peter zwischen Kirche und Staatsanwaltschaft hin- und hergeschoben wird. Zumindest in Österreicht hat es einen für die dortigen Strafverfolger ziemlich peinlichen Vorfall gegeben: Vertreter der Kirche melden der Staatsanwaltschaft einige ihnen bekannt gewordene Verdachtsfälle, die aber alle lange zurück liegen. Die Staatsanwaltschaft stellt wegen der Verjährung keine (nennenswerten) Ermittlungen an, weswegen Taten unentdeckt blieben, die noch nicht verjährt waren. Die Kirche sagt: Wenn wir die Staatsanwaltschaft informieren und die nichts unternimmt, was sollen wir dann noch tun...?
Derzeit kann sich jeder, der die Rechtslage auf diesem Gebiet ändern will, einer breiten Aufmerksamkeit sicher sein. Gute Vorschläge liegen allerdings noch nicht auf dem Tisch.
Durch einen Kompromiss kann man mittels einer Änderung der Rechtslage die gewünschte Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen erreichen, ohne sich in das Minenfeld einer bloßen, populistisch motivierten Heraufsetzung der Verjährungsfrist zu begeben.
Neben der Aufklärung der Taten als Wert an sich könnte die Möglichkeit geschaffen werden, unterhalb des Strafrechts Auflagen (partielle Berufsverbote) zu verhängen, die präventiven Charakter hätten.
Der Verfasser ist psychologisch nicht bewandert. Mit dieser Einschränkung: Es erscheint vorstellbar, dass Missbrauchsopfer sich leichter dazu durchringen können, nach Jahrzehnten endlich über das erlittene Leid zu sprechen (und es damit besser zu verarbeiten), wenn sie wissen, dass dessen Öffentlichmachung reale Folgen hat, auch wenn es sich dabei nicht um Strafverfolgung im engeren Sinn handelt (wegen der Verjährung).
Auch ohne die Verhängung von Auflagen ist es erstrebenswert, dass ernsthaften Verdachtsfällen nachgegangen wird. Einerseits ist die Durchführung von Ermittlungen für den Beschuldigten immer eine große Belastung, auch wenn es nicht zu einem Verfahren oder nicht zu der Verhängug von Auflagen kommt, andererseits hat die Öffentlichkeit beim Schutz ihrer Kinder ein legitimes Aufklärungsinteresse, zumal oft ein Organisationsversagen vorliegt, wie die aktuellen Fälle zeigen. Das Ausräumen der Zweifel von Eltern an der Integrität der jeweiligen Organisation ist ein hoher Wert und schützt diejenigen, die inzwischen die Kinder oder Jugendlichen betreuen, vor einer Atmosphäre des Misstrauens auf Grund diffuser Bedenken, wie sie nach ungeklärten Vorwürfen leicht entstehen kann.
Der Kern des Vorschlags ist, die Rechtslage so zu ändern, dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet wird, Ermittlungen durchzuführen, auch wenn sie nach Lage der Dinge keine Chance hat, ein Hauptverfahren zu eröffnen, weil die Vorwürfe strafrechtlich verjährt sind. Diese Verpflichtung sollte auf Fälle beschränkt werden, in denen der Tatvorwurf die gewaltätige oder sexuelle Misshandlung von Schutzbefohlenen ist.
Auch wenn ein Strafverfahren nicht mehr möglich ist, sollte die Staatsanwaltschaft bei hinreichender Klärung der Vorwürfe die Möglichkeit bekommen, gegen den Beschuldigten Auflagen zu erwirken, die den Umgang mit Kindern und Jugendlichen regeln. Davon könnte abgesehen werden, wenn in so einem Verfahren gutachterlich festgestellt wird, dass von dem Beschuldigten keine Gefahr mehr ausgeht.
Es erscheint erklärungsbedürftig, dass man einerseits die Verjährung als absolutes Verfahrenshindernis erhalten, aber gleichzeitig eine Art Ersatzverfahren etablieren möchte.
Die Argumentation dafür ist die, dass der Eingriff in die Rechte des Beschuldigten extrem viel höher ist, wenn man ihn mit jahrelanger Freiheitsstrafe bedroht. In der Praxis wären die Beweisanforderungen an die Verhängung von Auflagen deutlich geringer als an die einer Freiheitsstrafe. Durch die höheren Erfolgsaussichten eines vor allem präventiven Verfahrens wäre dieses Verfahren dem Beschuldigten viel eher zuzumuten als eins, das aller Voraussicht nach scheitert (wobei die Staatsanwaltschaft dann nicht einmal Anklage erheben dürfte).