Vorschlag für eine politische Innovation
Version 1.1/4.3, 05.09.2014
Nebenziele, positive Nebeneffekte, weitere Betroffene
Um die ungerechtfertigten Nachteile für Parteien abzufedern, die an der Sperrklausel scheitern, soll ein zweiter Abgeordnetenstatus ("Abgeordnete zweiter Klasse") geschaffen werden, der kein Stimmrecht beinhaltet, aber ansonsten im wesentlichen gleichwertig ist.
Seit langem werden Sperrklauseln wegen der offensichtlichen mit ihnen verbundenen Probleme kritisiert. Leider wird diese Debatte nur über die Dichotomie geführt, eine Sperrklausel zu haben oder eben nicht zu haben, bzw. über die, dass eine Liste entweder das Quorum erreicht und damit vollwertiges Mitglied des Parlaments ist oder eben völlig leer ausgeht (abgesehen von Wahlkampfkostenerstattung). Dieses Problem lässt sich aber auch differenziert behandeln, so dass das allgemein akzeptierte Problem der Regierungsstabilisierung gelöst wird, ohne sich die heutigen einzuhandeln.
Aufgabe der Parteien ist es nach Artikel 21 des Grundgesetzes, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Dies ist, wenn man es ernsthaft betreibt, mit erheblichen Kosten verbunden. Die Einnahmen politischer Parteien stammen in den meisten Demokratien aus vier Hauptquellen: Mitgliedsbeiträge, Parteispenden, (direkte und indirekte) öffentliche Zuwendungen sowie Mandatsträgerabgaben/Parteisteuern
(Wikipedia). Kleine Parteien erhalten keine Zuwendungen von Großspendern, haben nur wenige Mitglieder und wegen der Sperrklausel-Handhabung typischerweise auch keine Mandatsträger.
Die öffentlichen Zuwendungen (Wahlkampfkostenerstattung) richten sich nach den Wahlergebnissen und den Mitglieds- oder Mandatsträgerbeiträge sowie Spenden. Da die öffentlichen Zuwendungen in der Höhe durch die Summe der Mitglieds- und Mandatsträgerbeiträge sowie Spenden begrenzt werden, werden kleine Parteien (und solche, die auf die rechtlich zweifelhaften Mandatsträgerbeiträge verzichten) dadurch benachteiligt.
In den Parlamenten wird nicht nur abgestimmt; der weitaus überwiegende Teil der Tätigkeit dort kann ebenfalls als politische Willensbildung bezeichnet werden.
Den Abstimmungen (und Wahlen) gehen umfangreiche Debatten und Ausschussarbeiten voraus.
Der Bundestag übt die parlamentarische Kontrolle gegenüber der Regierung und der Exekutive des Bundes aus (u.a. über kleine und große Anfragen sowie die direkte Befragung von Regierungsvertretern).
Politisch bedeutsam ist die Öffentlichkeitsfunktion, wonach der Bundestag die Aufgabe hat, die Wünsche der Bevölkerung auszudrücken und umgekehrt die Bevölkerung zu informieren
(Wikipedia).
Auch wenn die Regierungsmehrheit die Beiträge der Opposition ignorieren kann (den Einigungszwang über die Zustimmungsnotwendigkeit des Bundesrats mal außen vor gelassen), sind sie für den öffentlichen Diskurs von großer Bedeutung.
Dass es im Parlament nicht so sehr auf die Möglichkeit der Stimmabgabe ankommt, zeigt sich schon daran, dass die Regierungsmehrheit bei einer "kleinen Koalition" typischerweise höchst selten und bei einer großen Kolaition nie in Gefahr ist. Den Beschlüssen des Parlaments sieht man im Grunde nicht an, ob die Opposition mit abstimmen durfte.
Der Bundestag hat gut 600 Mitglieder. Eine Partei (bzw. Liste), die die Sperrklausel-Hürde überwindet, hat also automatisch mindestens 30 Abgeordnete. Das sind 30 Leute, die sich in Vollzeit mit Politik befassen können (Sachkenntnis, Präsenz, weitgehend freie Zeiteinteilung) und denen erhebliche Geldmittel zur Verfügung stehen, die zum erheblichen Teil zwar nicht direkt, aber in der politischen Wirkung ihrer Partei zugute kommen: Etwa 8.000 EUR zu versteuerndes Einkommen plus etwa 4.000 EUR steuerfreie Kostenpauschale plus etwa 15.000 EUR für Mitarbeiter. Also 27.000 EUR mal 30 Abgeordnete mal 48 Monate: 40 Millionen Euro, die auf diesem Weg pro Legislaturperiode zwischen einer 5,0%-Partei und einer 4,9%-Partei liegen.
Hinzu kommen die Mittel für die Fraktionen. Deren Quorum ist derzeit mit dem Wahlquorum identisch (also 5%). Der jährliche Grundbetrag für eine Fraktion liegt derzeit bei knapp 4,5 Millionen Euro pro Jahr. Also liegen zwischen einer 5,0%-Partei und einer 4,9%-Partei über eine Legislaturperiode etwa 58 Millionen Euro.
Hinzu kommen erhebliche geldwerte Vorteile wie die Nutzung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags (mit etwa 100 Mitarbeitern) und die der Bibliothek des Deutschen Bundestages, der drittgrößten Parlamentsbibliothek der Welt.
zu beachten: Die Wahlkampfkostenerstattung geht an die Partei, der Rest an die Mandatsträger und die Fraktion
Die aktuelle Handhabung der Sperrklausel erreicht zwar den – offiziell einzigen – gewünschten Effekt der Regierungsstabilisierung, allerdings tut sie dies in der brutalstmöglichen Weise und eben nicht – wie es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorschreibt – mit dem kleinstmöglichen Eingriff in die Rechte der Wähler und Parteien.
Durch den parlamentarischen Ausschluss verliert das Parlament in der Debatte seine Repräsentativität. Diejenigen, von denen eine Bevölkerungsgruppe vertreten werden möchte, werden gar nicht erst gehört, was im Bundestag (und in der allgemeinen Öffentlichkeit) leicht zu dem falschen Eindruck führen kann, mehr relevante Ansichten als die dort vertreten gebe es nicht. Im aktuellen Bundestag sind es immerhin fast 16% der Stimmen, die auf diese Weise weggeworfen wurden. Und das ist nur der verzerrte Wert, denn natürlich hält das Risiko, dass die jeweilige Partei (Liste) es nicht über die Sperrklausel-Hürde schafft, Wähler davon ab, dort ihr Kreuz zu machen (oder überhaupt zu wählen).
Die Unterschiede in der Ressourcenausstattung sind nicht einfach nur ungerecht: Sie haben massive Auswirkungen auf die Aussichten der Parteien bei der nächsten Wahl. Die politische Willensbildung erfolgt zum Großteil über parlamentarische Aktivitäten. Die Chancen einer Partei hängen nicht primär von ihrem Wahlprogramm ab – das kaum jemand umfassend kennt –, sondern von
Häufigkeit und Qualität öffentlicher Auftritte der Repräsentanten der Partei
Professionalität im Umgang mit politischen Anliegen (die zum Großteil daran hängt, wie viel Zeit man in das Thema investieren kann)
den organisatorischen Möglichkeiten einer Partei (z.B. Wahlkampf)
Für den ersten Teil ist die Zugehörigkeit zum Parlament von großer Bedeutung, für die anderen vor allem die Ausstattung mit finanziellen Mitteln: Kann man sich Vollzeit der Politik widmen; hat man Mitarbeiter, die einem politisch helfen; hat man Mitarbeiter für Organisatorisches?
Es liegt also nicht einfach nur ein gelegentlich auftretendes Problem vor, sondern ein selbstverstärkendes Problem.
Die Sperrklausel-Handhabung ist schon mehrfach verfassungsrechtlich angegriffen worden; auf Bundes- und Landesebene erfolglos, auf Kommunal- und Europaebene erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Probleme dieser Regelung ausdrücklich an (ohne sie zu verwerfen):
2 BvH 1/52; BVerfGE 1, 208
Der Gesichtspunkt der freien Wettbewerbschancen der politischen Parteien als Grundlage der demokratischen Ordnung führt ebenso wie der zuerst behandelte Ausgangspunkt vom Stimmrecht des einzelnen Wählers dazu, die Beeinträchtigung von Parteien bei der Verhältniswahl als eine Ausnahme zu betrachten, die nur durch zwingende Gründe gerechtfertigt werden kann
a) Ausnahmen von der Gleichheit des Erfolgswertes sind aus besonderen zwingenden Gründen zulässig. b) Als ein besonderer zwingender Grund ist die mit dem Aufkommen von Splitterparteien verbundene staatspolitische Gefahr für die Demokratie anzusehen.
Die Bekämpfung „krankhafter“ Parteien bedeutet in diesem Zusammenhang aber ein sachfremdes Motiv. Dafür steht nur das Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG zur Verfügung. Überdies lassen sich Krankheiten des Volkskörpers nicht mit wahltechnischen Mitteln bekämpfen.
Das gewählte Mittel und der gewollte Zweck müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.
2 BvE 2/56; BVerfGE 6, 84
Der Gleichheitssatz fordert nicht, daß der Gesetzgeber die Einzelnen und ihre relevanten gesellschaftlichen Gruppen unbedingt gleichmäßig behandelt; er läßt Differenzierungen zu, die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt sind. Ob und in welchem Ausmaß der Gleichheitssatz bei der Ordnung bestimmter Materien dem Gesetzgeber Differenzierungen erlaubt, richtet sich nach der Natur des jeweils in Frage stehenden Sachbereichs.
Da die Aufgabe der politischen Parteien nach Art. 21 Abs. 1 GG gerade darin besteht, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ist mit der verfassungsrechtlich gesicherten Freiheit der Gründung im Grundsatz auch die freie Auswirkung bei der Wahl, d. h. die volle Gleichberechtigung aller Parteien notwendig verbunden
Würde der Grundsatz der getreuen verhältnismäßigen Abbildung der politischen Meinungsschichtung im Volk bis zur letzten Konsequenz durchgeführt, so könnte sich eine Aufspaltung der Volksvertretung in viele kleine Gruppen ergeben, die die Mehrheitsbildung erschweren oder verhindern würde.
Angesichts des Ausgangspunktes von der demokratischen Gleichberechtigung der Staatsbürger und von der Gleichbewertung der politischen Parteien im System des Grundgesetzes ist festzuhalten, daß der dem Gesetzgeber bei der Gestaltung des Verhältniswahlrechtes nach dem Grundsatz der gleichen Wahl belassene Ermessensspielraum eng bemessen ist
Es (das Gericht; Anmerkung des Verfassers) kann die Bestimmung eines Wahlgesetzes wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit vielmehr nur dann für nichtig erklären, wenn die Regelung nicht an dem Ziel orientiert ist, Störungen des Staatslebens zu verhindern, oder wenn sie das Maß des zur Erreichung dieses Zieles Erforderlichen überschreitet.
2 BvK 1/07
Aus der Erforderlichkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel für Bundestags- oder Landtagswahlen kann nicht ohne weiteres auf die Erforderlichkeit der Sperrklausel auch für Kommunalwahlen geschlossen werden. Bei gesetzgebenden Körperschaften sind klare Mehrheiten zur Sicherung einer politisch aktionsfähigen Regierung unentbehrlich. Anders als staatliche Parlamente üben Gemeindevertretungen und Kreistage dagegen keine Gesetzgebungstätigkeit aus.
Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das Ziel der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Volksvertretung mit dem Gebot der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit politischer Parteien zum Ausgleich zu bringen. Bei seiner Prognoseentscheidung darf sich der Gesetzgeber aber nicht auf die Feststellung der rein theoretischen Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit beschränken; erforderlich ist vielmehr eine mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung.
Alle diese Anmerkungen beziehen sich nur auf den klassischen Fall der Sperrklausel. Man kann dem Gericht nicht vorwerfen, dass es ein Szenario nicht berücksichtigt hat, das niemand angeführt hat. Die Anwendung der allgemeinen Regeln auf die vorgeschlagene Maßnahme ist eindeutig: Die Rechtfertigungsgründe betreffen ausschließlich das Abstimmungsverhalten. Die Verweigerung der sonstigen parlamentarischen Arbeit dient keinem legitimen staatspolitischen Ziel, sondern ist eine reine Verletzung der Rechte der Wähler und Parteien zugunsten der größeren Parteien (die mehr Sitze erhalten).
Annahmen über eine Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments, insbesondere der Ausschüsse, wenn in erheblichem Umfang Kleinparteien vertreten sind, wären rein hypothetisch und deshalb untauglich, zumal seit langem der Umgang der Bundesregierungen mit dem Parlament kritisiert wird, also eine klassische Sperrklausel erwiesenermaßen keine Lösung dieser Probleme darstellt.
Was besonders problematisch ist: Parteien halten sich mit der Sperrklausel Konkurrenz vom Hals. Der Gesetzgeber ist naturgemäß in dieser Frage nicht neutral, was die rechtlichen Anforderungen an den Parlamentsausschluss noch verschärft.
In einem demokratischen Rechtsstaat kann man tolerieren, dass kleine Parteien unangemessen leicht ins Parlament kommen, aber keinesfalls, dass sie unangemessen schwer diesen Sprung schaffen.
Das Ziel muss sein, durch eine bessere Regelung den offiziellen Zweck der Sperrklausel – die Stabilisierung der Regierung – zu erreichen, ohne sich dadurch die genannten Probleme einzuhandeln.
Ähnlich einer möglichen Ersatzstimme würde diese Maßnahme auch weitgehend das Problem lösen, dass der Wähler wegen des Verfallsrisikos seiner Stimme einen starken Anreiz hat, nur solche Parteien zu wählen, die sehr wahrscheinlich ins Parlament kommen.
Die Lösung dieses Problems ist einfach: Jeder Kandidat, der rechnerisch ins Parlament einzieht (die natürliche Sperrklausel überwindet), wird auch Abgeordneter. Scheitert seine Liste (und wird er nicht direkt gewählt), dann erhält er allerdings kein Stimmrecht (vielleicht abgesehen von Ausnahmesituationen, in denen die Sperrklausel-Argumentation nicht greift, etwa bei Quoren für Anträge).
Diese Abgeordneten zweiter Klasse bekommen aber ein Gehalt und die sonstigen Ressourcen (Büros, Mitarbeiter, Zugriff auf den wissenschaftlichen Dienst usw.) sowie Rederecht. Denkbar ist, dass diese Ausstattung gegenüber den normalen Abgeordneten etwas reduziert wird.
Natürlich könnten diese Abgeordneten sich auch zu einer (oder mehreren) Fraktionen zusammenschließen; inhaltlich mögen die Kleinparteien nicht leicht zueinander finden, aber der Anreiz der zusätzlichen Ressourcen dürfte stark sein. Für die Betrachtung dieses Vorschlags ist das allerdings wenig relevant. Tendenziell ist davon ein ordnender Einfluss zu erwarten, weil auch eine Partei mit nur fünf Abgeordneten Teil eines größeren Ganzen wäre und sich damit gewissen Gepflogenheiten unterzuordnen hätte. Dies hätte den allgemein begrüßten Nebeneffekt, dass radikale Parteien zwar ins Parlament einzögen, aber dort in ihrem Status gegenüber den anderen Kleinparteien abgestuft wären. Sogar der Beitritt zu einer normalen Fraktion wäre vorstellbar – ob die das möchte, wäre natürlich eine andere Frage.
Diskutieren kann man darüber, ob das Parlament entsprechend vergrößert werden sollte, dass sich die Soll-Größe also nur auf die stimmberechtigten Abgeordneten bezieht. Finanzielle Erwägungen dieser Art rechtfertigen jedenfalls keine Eingriffe ins Wahlrecht.
Man muss sich überlegen, wie man diese neuen Volksvertreter nennt. Das Grundgesetz wird man für diese Regelung nicht ändern müssen; es beschäftigt sich aus naheliegenden Gründen nicht im Detail mit Abgeordneten und Stimmen, sondern setzt voraus, dass jeder Abgeordnete eine Stimme hat. Aber natürlich kann eine Regelung, die den Eingriff in Rechte reduziert, nicht weniger zulässig sein.
Nach § 93 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes gilt folgende Frist:
(3) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, so kann die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlaß des Hoheitsaktes erhoben werden.
Diese Frist dürfte für die meisten Wahlgesetze abgelaufen sein, aber man muss nicht darauf warten, dass sie geändert werden, auch wenn das regelmäßig vorkommt: Das Bundesverfassungsgericht hat das Einbringen eines Gesetzentwurfs, der sich genau auf die Abstellung dieses Problems richtet und vom Parlament abgelehnt wird, der Verabschiedung eines Gesetzes (das per Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnte) gleichgestellt (Urteil vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07: 5%-Klausel bei Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein verstößt gegen Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit).
Da wenigstens vier Parteien, die (zumindest in manchen Bundesländern) von dem Problem betroffen sind, in diversen Landtagen und dem Bundestag sitzen – die Linke, die Grünen, die FDP und die Piratenpartei – dürfte es kein Problem sein, für einen Musterprozess zu sorgen. Mal abgesehen davon, dass diese Regelung in ihrem eigenen Interesse liegt, würden diese Parteien diese Aktion wohl kaum der verbliebenen NPD-Fraktion in Mecklemburg-Vorpommern überlassen, die auf jeden Fall nach diesem Strohhalm greifen würde – so wie die NPD auch in so ziemlich jedem anderen Zusammenhang schon vor Gericht gegangen ist.
Wenn das Bundesverfassungsgericht in dem Musterprozess im Sinne dieses Vorschlags entschieden hat, wäre der Rest nur noch Formalität. Kein Parlament wird sich dann stur stellen (auch wenn sich keine Fraktion dafür fände) – gegen das Bundesverfassungsgericht zieht die Politik immer den Kürzeren, und kein Politiker möchte dem Wahlvolk erklären, warum tatsächlich mal eine Wahl für ungültig erklärt wurde, denn unter diesem Umstand würden das Bundesverfassungsgericht bzw. die Landesverfassungsgerichte einer Wahlprüfungsbeschwerde wohl stattgeben. Wenn der nächste Wahltermin in weiter ferne liegt, mag man über eine entsprechende Petition einen Klagevorwand provozieren: Wenn der Petitionsausschuss nicht entsprechend reagiert, könnte das Gericht darin genauso einen grundrechtsverletzenden Akt sehen wie in dem abgelehnten Gesetzentwurf in Schleswig-Holstein.
Da neben den genannten etablierten Parteien – die Linke, die Grünen, die FDP und die Piratenpartei – auch eine Menge Kleinparteien davon betroffen sind, von denen jeder Landesverband klagen könnte, erscheint es geradezu unvorstellbar, dass es niemand darauf ankommen lässt. Die Betroffenen haben quasi nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen, und sind juristisch in einer sehr komfortablen Situation.
Da die juristische Situation so klar erscheint, muss womöglich nicht einmal geklagt werden – wer blamiert sich schon gern in Karlsruhe... Die Bundesspitze der Linkspartei hat kürzlich die Abschaffung der Sperrklausel für Bundestagswahlen gefordert. Bei den Grünen erscheint aus politischen Gründen schwer vorstellbar, dass sie diesen Ansatz (jedenfalls als Opposition) nicht unterstützen.