Vorschlag für eine politische Aktion
Version 1.1/4.3, 26.10.2011
Zur Förderung sowohl der innerparteilichen Demokratie als auch der Wahlchancen soll der Prozess zur Aufstellung der Spitzenkandidaten verbessert werden. Dafür soll einige Zeit (ein bis zwei Jahre) vorher eine Gruppe von ca. vier Personen offiziell gewählt werden, die sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch parteiintern zu möglichen Spitzenkandidaten aufgebaut werden.
Den besten Kandidaten für eine Wahl aufzustellen, ist für eine Partei nicht so leicht, wie es scheint. Die Parteibasis bzw. die Delegierten sind in der Praxis nicht wirklich frei in ihrer Entscheidung; das fängt schon damit an, dass nicht alle in Frage kommenden Personen faktisch frei darin sind zu kandidieren; ohne Auswahl wird die Wahl aber zur Farce, ohne Gelegenheit, den Besten auszuwählen, nur noch mit dem Risiko, den einzigen Kandidaten durch ein suboptimales Ergebnis zu beschädigen. Es gibt entsprechend der jeweiligen Parteikultur eine ausgeprägte Erwartungshaltung, wer zu nominieren ist (das ist mal eine einzelne Person oder ein Amtsträger, mal eine Gruppe), meist der Parteichef oder Fraktionsvorsitzende. Kampfkandidaturen sind zwar spannend, können der Partei vom Wähler aber auch (unbewusst) als Mangel an Geschlossenheit angekreidet werden.
Die Möglichkeiten, weitere Personen als die qua Amt gesetzten Parteivertreter ernsthaft ins Gespräch zu bringen, sind wenig demokratisch strukturiert, sondern eine Frage medialen Einflusses. Das beste Beispiel dafür ist Peer Steinbrück: In der SPD wurde noch niemand gefragt, aber die Medien finden ihn toll und stellen ihn monatelang nicht nur als möglichen, sondern als aussichtsreichsten möglichen SPD-Kanzlerkandidaten dar; irgendwann fangen Gabriel und Steinmeier dann an, gleich gemeinsam mit ihm aufzutreten. Natürlich soll das Recht der Presse auf Meinungsjournalismus nicht angetastet werden, aber die Parteibasis sollte wenigstens über dieselbe Möglichkeit verfügen wie die Presse.
Nur einen geeigneten Spitzenkandidaten zu haben, ist für eine Partei eine sehr unangenehme Situation, denn dann droht ihr, dass ihr Kandidat mit ihr umspringt wie Klaus Wowereit mit der Berliner SPD. Natürlich kann eine Partei sich nicht gegen einen Spitzenkandidaten durchsetzen, wenn sie keine Alternative hat. Es liegt deshalb im vitalen Interesse einer Partei, sich wenigstens einen Plan B offenzuhalten.
Es fällt Parteien im allgemeinen schwer, Spitzenpersonal auszutauschen. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass sich während zwei oder drei Legislaturperioden, die jemand einer Fraktion vorsteht, personelle Alternativen entwickeln (also objektiv vorhanden sind, aber nicht unbedingt in der Breite der Partei als solche wahrgenommen werden). Was fehlt, ist ein souveräner Umgang mit dieser Selbstverständlichkeit. Wer gegen die Amtsinhaber antritt, riskiert im Fall einer Niederlage eine Schwächung seiner innerparteilichen Position, weil Kampfkandidaturen immer noch die Ausnahme statt der Regel sind. Ein Quasi-Automatismus, dass aus der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden auch die Wahl zum Spitzenkandidaten folgt, ist abzulehnen.
Insbesondere ist es nicht zweckmäßig, die möglichen Kandidaten nur im Moment der Wahl des Spitzenkandidaten zu vergleichen, weil ein Amtsinhaber oder Mandatsträger immer Vorteile hat. Die relevante Frage – mit einigem zeitlichen Vorlauf zur Kür des Spitzenkandidaten – muss sein: Wie sehen die möglichen Kandidaten im Vergleich aus, wenn man sie halbwegs langfristig systematisch zu möglichen Spitzenkandidaten aufbaut?
Ein weiteres Problem liegt darin, dass eine Partei meist nicht wissen kann, wie ein bewährter Oppositionspolitiker beim Bürger als Spitzenkandidat ankommt. Es ist nicht dasselbe, einerseits im Parlament die Regierung zu vertrimmen und andererseits selber die Mehrheit hinter sich zu scharen. Bisher wird außerhalb des Wahlkampfs der Bürgerkontakt der Oppositionsspitze meist nicht übertrieben, so dass die Partei – jedenfalls in der Breite – nicht weiß, ob das eigene Spitzenpersonal auf einer Wellenlänge mit dem Wähler liegt.
Nicht unbedingt ein ernstes Problem, aber wenigstens ärgerlich ist der im allgemeinen geringe Kontakt der späteren Spitzenkandidaten zur Parteibasis. Um jemanden reinen Gewissens aufzustellen, sollte man ihn besser kennen. Es gibt durchaus Spitzenpolitiker, die ihren Parteimitgliedern weitaus weniger sympathisch sind, nachdem sie persönlich mit ihnen zu tun hatten. Dieses Kennenlernen hätte idealerweise zur Folge, dass die Partei jemanden aufstellt, mit dem sie sich rundum identifizieren kann (anstatt in der Person nur die Maximierung der Wahlchancen zu sehen).
Dass das bisherige Quasiabnicken der Spitzenkandidaten nicht der Weisheit letzter Schluss ist, scheint innerhalb und außerhalb der Parteien vielen klar zu sein; das lässt jedenfalls die Aufmerksamkeit erahnen, die die Wahl des Spitzenkandidaten der SPD für die Wahl 2012 in Schleswig-Holstein und die Gedankenspiele der Bundes-SPD zum Verfahren der Kür des Kanzlerkandidaten für 2013 in den Medien erfahren (haben).
Grundlegende Verbesserungen des Prozesses scheinen aber nirgendwo geplant zu werden.
Alle diese Probleme sollen gelöst oder verringert werden, indem nicht nur die Aufstellung eines Spitzenkandidaten, sondern auch die Bestimmung einer (nicht ausschließlichen) Gruppe möglicher Spitzenkandidaten fester Bestandteil des Prozederes wird.
Wie man an dem Hype um die mögliche Kandidatur von Renate Künast in Berlin erlebt hat, kann die Frage, wer am Ende aufgestellt wird, einer Partei eine Menge Öffentlichkeit bescheren. Wenn es eine offizielle Vorauswahl gibt, steht diese Frage automatisch im Raum. Mehrere Kandidaten werden mit ihren öffentlichen Auftritten insgesamt deutlich mehr öffentliche Aufmerksamkeit für die Partei erzeugen als ein (noch ungekürter, aber quasi feststehender) Kandidat alleine.
Je weniger ein Kandidat aus der Situation heraus gegen den Widerstand der Partei bzw. von Teilen der Partei durchgesetzt wurde, desto weniger wird nach einer Wahlschlappe das Ende seiner Karriere gefordert werden. Wenn die Partei nach reiflicher Überlegung und gegen Kandidaten mit realistischen Aussichten denjenigen aufgestellt hat, dann muss sie sich einen entsprechend großen Teil der Verantwortung selber anheften und kann sie nicht bei einem Bauernopfer abladen.
Es kommt beim Wähler nicht gut an, wenn er den Eindruck gewinnt, dass es in einer Partei nicht mehrere Leute gibt, die für eine Position in Frage kommen. Natürlich kommt es vor allem darauf an, wem der Wähler den Job zutraut, aber dass die Partei sagt, Hier sind unsere glorreichen Vier
mag an sich schon das Image ihrer Personaldecke verbessern.
Personalquerelen kurz vor einer Wahl möchte man auch deshalb vermeiden, weil die Motivation der noch als Wahlkämpfer benötigten Unterstützer der unterlegenen Kandidaten noch benötigt wird. Wenn zwei bis drei Jahre vor einer Wahl die Wunschkandidaten bestimmter Parteiflügel durch diese Vorwahl quasi schon ausgeschieden sind, ist das für die Unterstützer der Gescheiterten noch genug Zeit, um sich wieder zu beruhigen und an die weniger geschätzten Kandidaten zu gewöhnen. Dass es dann nicht nur einen, sondern mehrere Leute gibt, gegen die man verloren hat, dürfte dazu beitragen, Spaltungseffekte zu verringern, weil der Ärger sich dann nicht auf eine Person fokussiert. Das Scheitern des eigenen Wunschkandidaten ist dann nicht mehr an der einen anderen Person zu messen, die man womöglich nicht leiden kann, sondern misst sich dann an demjenigen aus der Vorwahlgruppe, mit dem man sich noch am ehesten anfreunden kann.
Diese Vorwahl muss so lange vor der Wahl liegen, dass man Bekanntheit und Image dieser Kandidaten bis zur Entscheidung über die Spitzenkandidatur noch merklich beeinflussen kann; das dürfte auf einen Termin zwei bis drei Jahre vor der Wahl hinauslaufen.
Um die genannten Hürden einer Kampfkandidatur für die Gegenkandidaten zu minimieren, sollte dem Aufruf zur Kandidatur ein Meinungsbild in der Partei vorausgehen. Ein geeigneter Kreis (z.B. Kreisvorstände, Parteitagsdelegierte) sollte die Möglichkeit haben, (uneingeschränkt?) Namen ins Spiel zu bringen, damit die möglichen Kandidaten vor ihrer Entscheidung, sich für die Vorauswahl zu bewerben, den Rückhalt in der Partei abschätzen können. Jeder sollte mindestens so viele Personen unterstützen können, wie gewählt werden sollen, aber auch die doppelte Anzahl hätte ihre Vorteile (man müsste das Kontingent natürlich nicht ausschöpfen). Für die Erstellung dieses Meinungsbilds bräuchte man keinen Parteitag. Die Berechtigten könnten ihr Votum über einen Zeitraum von mehreren Wochen in den Geschäftsstellen oder per Briefwahl abgeben. Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses sollte die Partei sich und den möglichen Kandidaten noch zwei Wochen Bedenkzeit geben, bis sie sich erklären müssen. Veröffentlicht werden sollten nur die Ergebnisse der z.B. zehn Bestplatzierten. Allen anderen sollte es nur persönlich mitgeteilt werden.
Eine sinnvolle Einschränkung der wählbaren Personen wäre:
alle Mitglieder des Landesparlaments
alle Minister / Senatoren
alle Mitglieder des Landesvorstands
alle (Bezirks-)Bürgermeister und Stadträte (Dezernenten)
alle, die vorab die Unterstützung eines Kreisverbands bekommen (beliebig viele Unterstützungen durch einen KV möglich)
Nicht zwingend, aber sinnvollerweise sollte (zumindest in Teilen bzw. seiner Struktur) das Programm feststehen, mit dem die Kandidaten der Parteibasis und vor allem der Öffentlichkeit nähergebracht werden sollen. Dieses Programm hätte eine zentrale und eine dezentrale Komponente. In Richtung der Kreisverbände könnte der (gegenseitige) Anspruch formuliert werden, dass jeder Kandidat in der Zeit bis zur Wahl des Spitzenkandidaten einen internen und einen öffentlichen Auftritt bei jedem Kreisverband (ab einer gewissen Größe, ansonsten bei einer Gruppe kleinerer, benachbarter Kreisverbände gemeinsam) hat. Diese Auftritte würden sinnigerweise erfasst und dokumentiert.
Mehr oder weniger unabhängig von den Kreisverbänden würde die Landesebene dafür sorgen, dass z.B. quartalsweise eine Veranstaltung organisiert wird, die jeweils einen der Kandidaten ins Licht der Öffentlichkeit rückt. Die Reihenfolge würde, sofern keine Einigkeit hergestellt werden kann, ausgelost.
Diese Kalkulation gilt natürlich nur auf Landesebene. Auf Bundesebene wäre der parteiinterne Teil wohl strukturell weniger wichtig (weil die Kandidaten prominenter sind als auf Landesebene), allerdings mögen die Kandidaten aus Gründen des internen Wahlkampfs motiviert sein, viel für oder jedenfalls mit der Basis zu machen.
Der Nutzen dieses Prozederes für eine Partei in der Opposition ist offensichtlich. Will man das Verfahren aber auch für den Fall, dass man an der Regierung ist und der Regierungschef noch nicht erklärt hat, nicht wieder antreten zu wollen? Für beide Entscheidungsmöglichkeiten finden sich Argumente. Auf jeden Fall sollte dies entschieden werden, bevor man an die Regierung kommt.
pro | contra |
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Wenn in der Vorauswahl zum Teil Minister/Senatoren, sonst aber Personen mit weitaus weniger prominenten Ämtern und Mandaten sind, sollte man sich überlegen, ob man für die Minister/Senatoren überhaupt noch öffentliche Termine macht oder diese besser zugunsten der anderen Kandidaten streicht. Die parteiinternen Auftritte sollten aber beibehalten bleiben.