Vorschlag für eine politische Maßnahme
Version 1.0/4.0, 18.02.2010
Problembewusstsein
Nebenziele, positive Nebeneffekte, weitere Betroffene
mögliche Probleme
Auf einem Treffen der Berliner Gruppe U35 zum Thema Steuern hat jemand aus der BAG Wirtschaft einige interessante Dinge berichtet. So sei die Bewertung von Steuerehrlichkeit und Steuerhinterziehung in Deutschland und den Niederlanden jeweils eindeutig, aber zwischen den Ländern gegensätzlich. Etwa 80% der Niederländer empfänden es als legitime Pflicht, Steuern zu zahlen, und hielten Steuerhinterziehung für völlig inakzeptabel. In Deutschland ziehen diese 80% die Legitimität der Steuern in Zweifel und finden Steuerhinterziehung gar nicht so schlimm.
Die Niederlande sind von Deutschland aus nun wirklich alles andere als hinterm Mond. Die Steuer-und-Abgaben-Last ist bei den Nachbarn jedenfalls nicht nennenswert niedriger als hier. Es ist kein tatsächliches, sondern ein psychologisches Problem. Wie kann es zu derart eklatanten Unterschieden in der Wahrnehmung kommen? Das konnte der Experte leider nicht sagen; anscheinend gibt es dazu keine Untersuchungen (oder sie sind in Fachkreisen nicht allgemein bekannt). Da es naheliegt, dass ein erheblicher Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung der Steuer(hinterziehung) und dem Ausmaß an Steuerhinterziehung besteht, liegt im im vitalen Interesse des Staates, diese Thematik zu verstehen, um sie gezielt beeinflussen zu können. Auch hier ist Prävention besser als Strafverfolgung (wobei sogar Hans-Olaf Henkel(!) die deutsche Generalamnestie bei Selbstanzeigen fragwürdig findet...).
Für die etwa 30 politisch interessierten Anwesenden schien das eine neue Information zu sein. Man darf wohl davon ausgehen, dass dieser Aspekt bisher kein politisches Thema ist.
Eine "falsche" Einstellung kann trivialerweise aus einer falschen Information entstehen. Eine weitere bedeutende Information des Vortrags war, dass sich die Einnahmen des Staates erheblich von dem unterscheiden, was vermutlich die Masse der Bürger (diejenigen mit höherer Bildung ausdrücklich eingeschlossen) vermutet. Die wesentliche Irritation liegt darin, dass der Normalverdiener (auch dessen "Definition" im gesunden Volksempfinden ist wohl wenig realitätsnah) einen größeren Anteil seines Einkommens an den Staat abführt (und da ist der Arbeitgeberanteil noch nicht einmal drin!) als der Einkommensmillionär. Der Beitragsbemessungsgrenze der Kranken- und Rentenversicherung sei dank.
Ein guter (weil schnell und quasi kostenfrei umsetzbarer und wirksamer) erster Schritt auf dem Weg zu einer gesunden Einstellung der Bürger gegenüber Steuern (und Abgaben) wäre eine bessere Information über die tatsächlichen Verhältnisse.
Es kann dem politischen Bemühen, den Wahnsinn, der sich deutsches Steuersystem nennt, halbwegs in den Griff zu bekommen, nur dienlich sein, wenn die Bürger besser informiert sind. Natürlich kann man nicht die Masse der Bürger umfassend informieren, aber die Vermittlung der grundlegenden Informationen mag bei einigen das nötige Interesse wecken, sich weiter zu informieren. Dies sollte man durch Hinweise auf weiterführende Informationen erleichtern.
Da das Thema Steuerhinterziehung derzeit traurige Aktualität hat, passt dieser Vorschlag zeitlich gut in die Landschaft. Zwischen viel Gemotze über die vermeintliche Hehlerei des Staates mit geklauten Daten auf der einen Seite und über die asozialen Steuerhinterzieher auf der anderen hat der aufmerksame politische Beobachter konstruktive Beiträge auffällig vermisst.
Die schlimmsten Missverständnisse sollte man leicht beseitigen können, indem man die fundamentalen Fakten mal auf drei A4-Seiten zusammenfasst und diese komprimierte Belehrung allen Einkommensteuerbescheiden beilegt. Das passt thematisch, der Empfänger ist dann sowieso gerade in der "Stimmung", sich Gedanken über den Sinn und Unsinn von Steuern zu machen. Diese Beilage sollte folgendes enthalten:
Abgrenzung Geringverdiener – Normalverdiener – Gutverdiener
Darstellung der kombinierten Steuer-und-Abgaben-Last für die unterschiedlichen Einkommensgruppen
Vergleich der Steuer-und-Abgaben-Last in unterschiedlichen Ländern (vor allem auch solchen mit sehr kapitalistischem Image, etwa den USA)
Es mag fallweise auch Bedarf an länderspezifischen Informationen geben.
Messbare Kosten entstehen dadurch nicht. Wenn nur ein kleiner Teil der Empfänger dies liest, ist schon viel gewonnen. Theoretisch könnte das zwar gerade der steuerehrliche Teil sein, aber dadurch, dass jeder regelmäßig diese Information bekommt, wäre jeder, der öffentlich mit falschen Annahmen operiert, sofort blamiert. Selbst im kleinen Kreis riskierte man dann, als Depp dazustehen, wenn man gegen den gierigen Staat pöbelt, wenn auch nur einer in Hörweite ist, der das Beiblatt gelesen hat.
Was diese Maßnahme bringt, kann man ex ante nicht wissen, aber da sie weder nennenswerte Kosten noch sonstigen Aufwand mit sich bringt, wäre es dumm, es nicht drauf ankommen zu lassen. Belastbar dagegen argumentieren lässt sich jedenfalls nicht erkennbar. Wer dennoch Kritik riskiert, sieht sich der absehbar für ihn peinlich endenden Forderung gegenüber, einen besseren Vorschlag zu machen. Denn ein Problem selber nicht verringern zu können (das nicht einmal für sich in Anspruch zu nehmen), aber am harmlosen Bemühen anderer herumzukritteln, ist schwer vermittelbar.
Für diese Aktion müsste vermutlich kein Gesetz geschaffen oder geändert werden. Eine simple Verordnung durch die Finanzministerien sollte ausreichen.
Für eine Partei, die keinen einzigen(?) Finanzminister stellt, ist das natürlich eine unschöne Situation. Ernsthafter sachlicher Widerstand dagegen ist kaum zu erwarten, abgesehen von dem prinzipiellen "Was aus der Opposition kommt, bügeln wir ab". Bei der aktuellen Stimmung im Volk, die gerade die FDP der Bedeutungslosigkeit zuführt, wäre es natürlich für eine Regierung riskant, diesen Vorschlag in arroganter Weise zu verwerfen. Damit könnte man sie schön ärgern. Insbesondere in einem großen Bundesland, in dem gerade Wahlen anstehen...
Damit der politische Erfolg dieses Ansatzes auch bei den Urhebern bleibt, obwohl sie ihn (mangels Finanzminister) nirgendwo selber umsetzen können, sollte dieser Vorschlag in allen Bundesländern gleichzeitig an die Regierung bzw. den Finanzminister herangetragen werden. Das macht es für andere Parteien schwer, ihn zu "kapern".
Das Sein bestimmt das Bewusstsein
, heißt es so schön. Das gilt sicher auch für das sprachliche Sein, die üblichen Formulierungen, um einen Sachverhalt zu beschreiben. Wer sich ein Lied für einen Euro illegal verschafft, ist ein Raubkopierer
, also sprachlich mit einem Gewaltverbrecher assoziiert, wer den Staat um tausende, um Millionen Euro betrügt, ist ein Steuerhinterzieher
. Wie niedlich. Wie kann man so jemandem böse sein, einem Hinterzieher
?
Um der Fehlentwicklung der politischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung Einhalt zu gebieten, erscheint es angebracht, das Vokabular umzustellen. Aus Steuerhinterziehung
könnte Steuerkriminalität
werden. Steuerhinterzieher wären dann auch sprachlich Kriminelle, Steuerkriminelle
. Niemand ist gern ein Krimineller. Kriminelle sind nicht niedlich. Vielleicht ist die fehlende Sympathie gegenüber dieser Gruppe in den Niederlanden auch darauf zurückzuführen, dass die dort verwendete Sprache in der Qualität eine andere, eine angemessene ist?
Der politische Wert dieses Versuchs liegt darin, dass jeder, der ihn diskreditiert, den Volkszorn riskiert. Derzeit sollte sich niemand vor Steuerhinterzieher stellen, nicht einmal sprachlich. Man riskiert also mit so einem Vorstoß nichts. Wenn sich der neue Terminus einbürgert, hat man das eigene Image nachhaltig beeinflusst (wenn die Leute sich daran erinnern, wer das mal angestoßen hat, aber dafür kann man notfalls sorgen).
Diese Ergänzung lässt sich prima mit dem Hauptvorschlag kombinieren, indem bei letzterem die neue Terminologie benutzt wird. Dann hat man die kombinierte Aufmerksamkeit. Wer sich gegen die Formulierung sträubt, setzt sich der Gefahr aus, dass die Öffentlichkeit ihm unterstellt, er wolle das ganze Vorhaben zerreden.