Vorschlag für eine rechtliche Regelung 

Hauke Laging, Peter-Vischer-Straße 29, 12157 Berlin, Tel.: 030/32603660, mobil: 0172/7630883, E-Mail: hauke@laging.de, WWW: http://www.hauke-laging.de/

rechtliche Möglichkeit gegen "nachwachsende" Marktdominanz

Version 1.2/2.3, 29.07.2008

Inhalt

Zusammenfassung — Übersicht

Dadurch, dass der Kompatibilitätsdruck zu neuen Softwareversionen von den Anwendern genommen wird (indem man verhindert, dass unnötigerweise Dokumente in dem neuen Format erzeugt werden), verhindert man, dass eine marktbeherrschende Stellung sich "weitervererbt".

Ausgangslage – das Problem — Übersicht

Eine Softwarefirma verkauft eine Software mit sowohl sehr hohem Marktanteil als auch massenhafter Verbreitung (es geht nicht um dominante Nischenprodukte).

Eines Tages fängt diese Firma an, eine neue Version ihrer Software zu verkaufen. Diese kann zwar die Daten der alten lesen und schreiben, hat aber ein eigenes Format (was nicht für jede, aber für viele neue Versionen gilt). Standardmäßig, also immer, wenn der Nutzer nicht eingreift (dies ist ein ganz entscheidender Punkt!), erzeugt die neue Version Daten in ihrem neuen Format. Wenn man im alten Format speichert (das ist ähnlich wichtig), kommt eine plumpe (für die Entwickler natürlich extrem bequeme) Meldung, dass möglicherweise das Dokument nicht in seiner ganzen Pracht in dem alten Format gespeichert werden könne. Abgesehen vom Mehraufwand raubt dies dem Anwender natürlich jede Motivation, weiterhin das alte Format zu verwenden. Das ist vor allem deshalb unerhört, weil die Software weiß, ob diese Verluste auftreten oder nicht (denn dieses Wissen ist wenigstens implizit im Exportfilter enthalten).

Objektiv ist es dagegen so, dass die Anwender nicht von heute auf morgen andere Dokumente erzeugen, also auch keine neuen Informationen erzeugen, solche, die nur in dem neuen Format gespeichert werden können; jedenfalls keine Informationen, die für die Masse der Anwender von Bedeutung sind. Am Markt bedeutet das: Der ganz überwiegende Anteil (98%?) der Dokumente in dem neuen Format wird völlig sinnlos in diesem erzeugt. Sinnlos deshalb, weil das Format für die fraglichen Dokumente keinerlei Mehrwert bietet (die also verlustfrei auch im alten Format hätten gespeichert werden können). Durch die zunehmende Präsenz des neuen Formats werden andere Marktteilnehmer in nicht geringer Zahl genötigt, die neue Version dieser Software zu kaufen. Ohne guten Grund, sondern nur deshalb, weil ihre Geschäftspartner Opfer dieses Verhaltens der Software werden. Damit liegt eine Marktverzerrung vor, weil Produkte nicht mehr auf Grund von Preis und Leistung, sondern auf Grund bewusst errichteter technischer Hürden ausgewählt werden.

Das ist die leidlich bekannte Situation. Die allgemeine Formulierung ist nicht nur humoristisch motiviert. Wenn man zwei Schritte zurücktritt, wird man dieses Phänomen an vielen Stellen bemerken, nicht nur beim sich aufdrängenden Beispiel der Office-Software, das aber die volkswirtschaftlich größte Relevanz besitzt.

Wegen gelegentlicher Missverständnisse ist zu beachten, dass das Problem nicht der technische Fortschritt ist, der nun mal neue Formate erfordert. Niemand soll von der Entwicklung oder Nutzung neuer Formate abgehalten werden. Es geht ausschließlich darum, die sinnlose, also missbräuchliche Verwendung neuer Formate zu verhindern.

Marktverzerrung

Dieser Zusammenhang führt an mindestens zwei Stellen zu einer Marktverzerrung:

  1. Es wird ein Produkt gekauft, obwohl ohne diesen Zusammenhang zu dem Zeitpunkt in der Regel gar kein neues Produkt angeschafft worden wäre (also weder die fragliche neue Version noch ein Wettbewerbsprodukt), weil die Anwender von der Leistungssituation her mit dem Produkt noch zufrieden sind.

  2. Wettbewerbsprodukte haben es dadurch schwerer, dass sie nicht nur bei den produktiven Leistungen mit dem Marktführer konkurrieren, sondern – im Gegensatz zu diesem! – auch noch hochwertige Im- und Exportfilter als unumgängliche Voraussetzung bieten müssen.

    Je größer der Druck durch Dateien in neuen Formaten ist, desto schwieriger wird die Marktposition von Wettbewerbsprodukten.

Diese Situation hebelt den Wettbewerb zum Großteil aus. Speziell im Unternehmensumfeld ist die Marktdominanz bei Office-Software einer der wesentlichen Gründe, weshalb es derzeit auf Dauer nicht absehbar ist, dass es auf Arbeitsplatzrechnern zu einem ernsthaften Wettbewerb der Betriebssysteme kommt.

Problembewusstsein

Das Problem ist wohl jedem klar, der schon mal eine Datei bekommen hat, die er nicht verwenden konnte, weil er nicht der ersten Gruppe der Umsteiger auf die neue Software angehörte.

Auf der anderen Seite – bei den Verwendern der neuen Version – dürfte das Problembewusstsein dafür, was sie anrichten, denkbar wenig ausgeprägt sein.

Abgrenzung der Problematik zum Einsatz von OSS

Dieser Vorschlag wird oft dahingehend missverstanden, dass die Problematik nicht bestehe, wenn man Open-source-Software einsetzt. Das stimmt nicht. Auch beim Einsatz von OSS ist es zumindest lästig, durch das Kursieren inkompatibler (neuerer) Dokumente zum Update genötigt zu werden. Der Unterschied ist eher quantitativer Natur: Das Update verursacht keine Lizenzkosten. Allerdings verursacht es Arbeitsaufwand, und vielleicht sind die Rechner für die neue Version zu schlapp. Der Leidensdruck ist in diesem Szenario also deutlich geringer, aber er ist nicht null.

Ziel — Übersicht

Durch entsprechende rechtliche Vorgaben der EU oder der nationalen Gesetzgeber soll das kritisierte Verhalten von Softwareherstellern unterbunden werden.

Das Ziel ist zu verhindern, dass "unnötig inkompatible" Dokumente entstehen. In Zukunft sollen nur noch diejenigen Dokumente in dem neuen Format erzeugt werden, die auf dieses Format angewiesen sind. Das dient allen Beteiligten (außer dem Marktführer, der eines Teils seines ungerechtfertigten Umsatzes beraubt wird).

Unternehmen und Privatleute sollen ein Produkt nach Möglichkeit nur noch deshalb kaufen (als Update), weil sie an dem verbesserten Funktionsumfang (o.Ä.) interessiert sind, aber nicht, weil sie es aus Kompatibilitätsgründen brauchen.

Nebenziele, positive Nebeneffekte, weitere Betroffene

Durch diese Maßnahme würde den Anwendern neuer Software klar, was für Probleme sie (oder wenigstens ihresgleichen) bei anderen auslösen.

Umsetzung — Übersicht

Realisierung

Die EU zwingt über das Kartellrecht jeden Hersteller, der eine Software in gewisser (großer) Menge verkauft, diese Software so abzufassen,

  1. dass sie standardmäßig (aber konfigurierbar, vielleicht mit Ausnahme des neuen Formats) im Format ihrer Vorversion speichert (bzw. in dem Format, dass z.B. drei Jahre vor Verkaufsbeginn aktuell war) oder alternativ in einem offenen Format, das mindestens ein Wettbewerbsprodukt (das eine gewisse Mindestverbreitung hat) lesen und schreiben kann.

    Die Drei-Jahres-Regelung verhindert, dass ein Softwarehersteller in kurzem Abstand neue Versionen herausbringt, um die Versionszählung zu unterlaufen.

  2. dass sie dem Anwender konkret für den Einzelfall mitteilt, ob und welche Teile seines Dokuments nicht in dem alten Format dargestellt werden können (Liste der Funktionen und grafische Hervorhebung der jeweils betroffenen Stellen im Dokument). Dies kann allerdings bei jedem Speichervorgang nötig werden (je nachdem, was der Anwender gerade gemacht hat); in der Praxis wird das aber nicht passieren.

  3. dass sie dem Anwender die Möglichkeit gibt, im Hinweisdialog zu konfigurieren, über die Unmöglichkeit der Speicherung welcher "Dokumenteninhalte" er nicht mehr informiert werden will. Diese Vorgehensweise unterbindet die Möglichkeit, irgendwelchen Schwachsinn einzuführen, der niemanden interessiert, aber jedesmal so eine Meldung bringt (um den Anwender so zu nerven, dass er das umkonfiguriert).

  4. dass sie im Hinweisdialog dem Anwender ermöglicht, sich die offizielle Begründung für diese EU-Norm anzeigen zu lassen.

Den Softwareherstellern ist das fraglos zumutbar, weil es trivial umzusetzen ist. Das alleine reicht natürlich nicht, man muss sich als Gesellschaft einen angemessenen Nutzen davon versprechen, denn es geht ja um eine konkrete Verbesserung der Situation und nicht bloß darum, einen gewissen Softwarehersteller zu ärgern.

mögliche Probleme

Hervorhebung neuer Funktionen

Dem Hersteller steht es natürlich frei, mit großem Aufwand (Werbung, Presse, aufdringliche Assistenten in der Software) die Aufmerksamkeit der Anwender auf die neuen Funktionen zu lenken, damit diese mehr Dokumente im neuen Format erzeugen. Vorwerfen kann man ihnen das sicher nicht. Allerdings werden die Anwender dann ja jedesmal mit der Problematik konfrontiert, wenn sie das Dokument (erstmalig) speichern.

Betroffenheit von Open-source-Software

Eine rechtliche Regelung muss natürlich allgemein gelten. Es kann also passieren, dass auch Open-source-Software davon erfasst wird; insbesondere dann, wenn die Regelung nicht nur für den Marktführer gilt, sondern für die ersten drei. Allerdings gilt natürlich auch für OSS, dass die Umsetzung dieser Vorgaben technisch unproblematisch ist.

Einwände — Übersicht

Naheliegende oder bereits vorgebrachte Einwände:

Free Software Foundation Europe

Die FSFE hält den Vorschlag nicht für durchsetzungfähig.

Begründung

  1. Das Kartellrecht diene dazu, den Wettbewerb zu schützen und Wettbewerb benötige Innovationen. Innovationen brächten manchmal neue Formate mit sich.

  2. Unternehmen könnten nicht gezwungen werden, "auf ewig" alte Formate zu unterstützen, weil das unwirtschaftlich wäre.

  3. Die Formulierungen enthielten zwar nirgends das Wort "Microsoft", dennoch handele es sich um eine "Lex Microsoft". So etwas sei grundsätzlich bedenklich.

Erwiderung

  1. Diese Regelung behindert in keinster Weise die Entwicklung und Verwendung neuer Formate. Der Vorschlag fordert, dann kein neues Format zu verwenden, wenn dies für das konkrete Dokument nicht nötig ist (objektiv oder nach Maßgabe des Anwenders).

  2. Der Vorschlag fordert nicht, alte Formate "auf ewig" zu unterstützen, sondern nur dasjenige, das drei Jahre vor der Einführung der Software aktuell war. In der Praxis wird das immer nur die direkte Vorversion sein.

    Das Argument ist auch deshalb sehr zweifelhaft, weil es etwa bei Office-Software seit langem üblich ist, über einen sehr viel längeren Zeitraum alte Formate zu unterstützen. In diesem Punkt fordert der Vorschlag also nichts Neues. Die Regelung bezieht sich – ändernd – nicht auf die technische Möglichkeit, sondern auf deren Anwendung.

  3. Dass man im Ergebnis vor allem gegen ein einzelnes Unternehmen vorgeht, ist im Kartellrecht eher die Regel als die Ausnahme. Das abzulehnen würde bedeuten, das Kartellrecht insgesamt abzulehnen.

    Außerdem ist dieser Vorschlag nicht aus dem Betreben entstanden, einfach irgendwas gegen Microsoft zu unternehmen, sondern er greift vielmehr ein sehr konkretes Problem auf. Dass Microsoft das Unternehmen ist, das von diesem Effekt am stärksten profitiert, kann man wohl kaum zu seinen Gunsten verbuchen.

Erweiterungen — Übersicht

Änderungen am Dokument — Übersicht

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1.0 (02.06.2008)

1.1 (18.07.2008) – Änderungen markieren / Markierung aufheben

1.2 (29.07.2008) – Änderungen markieren / Markierung aufheben