Betrachtung von Alister McGraths Dawkins-Kritik

Analyse des Buchs: Alister McGrath, Der Atheismus-Wahn, ISBN 978-3-86591-289-3

Richard Dawkins Buch Der Gotteswahn hat große Wellen geschlagen. Nicht aus demselben Grund wie sein erstes (bedeutendes) Werk (The Selfish Gene). Dieses hatte beachtlichen wissenschaftlichen Wert und hat ihn in die erste Liga der Biologie katapultiert. Das kann man von The God Delusion natürlich nicht behaupten; ich nehme an, der Autor selber tut das auch nicht. Der Erfolg dieses Buches hat viel profanere Gründe: Der Autor ist berümt, es war deshalb von vorneherein allgemein bekannt, und es trifft den Geschmack der Zielgruppe.

Wann ist ein Buch "gut"? Das hängt von der Art des Buches ab. Als philosophisches Lehrbuch ist The God Delusion wohl kaum zu gebrauchen, aber dafür ist es nicht gedacht und wird es nicht verwendet. Es liefert eine Zusammenstellung einer Fülle von Betrachtungsweisen des Phänomens Religion. Dass die überwiegend nicht neu sind, interessiert den Leser nicht. Der typische Leser dieses Buchs ist kein Experte, der nach Aspekten sucht, die für den "Stand der Wissenschaft" neu sind. Der typische Leser ist der interessierte Laie, der sich freut, viel Information zum Thema zu bekommen.

Die Kritiker bemängeln vor allem folgendes:

McGrath sagt im Vorwort, auch er sei einmal ein engstirniger Atheist gewesen, bis er Bücher las, die seine Sicht hinterfragten. Ein paar Sätze weiter hofft er, dass auch Atheisten sein Buch lesen. Und obwohl er Dawkins der unwissenschaftlichen Schwafelei bezichtigt, schafft er es nicht einmal, diese Bücher zu benennen. Was würde die Atheisten mehr interessieren als das? Ich sage nicht, dass er sein Buch anders hätte schreiben sollen, sondern nur, dass er die sich am stärksten aufdrängende Quellenangabe vermeidet.

der Inhalt von Der Atheismus-Wahn

Wenn ich dieses Buch kritisiere, dann muss man im Hinterkopf haben, was sein Autor Dawkins vorwirft. Manches wird von mir nur deshalb abgestraft, weil er sich meines Erachtens an den Maßstäben messen lassen muss, anhand derer er über Dawkins richtet.

Der Inhalt des kritisierten Werks

Idealerweise sollte man The God Delusion kennen. Um wenigstens einen Eindruck davon zu bekommen, warum das Buch so umfangreich ist und welche Themen es abdeckt, hier das Inhaltsverzeichnis:

  1. A deeply religious non-believer
    1. Deserved respect
    2. Undeserved respect
  2. The God Hypothesis
    1. Polytheism
    2. Monotheism
    3. Secularism, the Founding Fathers and the religion of America
    4. The poverty of agnosticism
    5. NOMA
    6. The Great Prayer Experiment
    7. The Neville Chamberlain school of evolutionists
    8. Little green men
  3. Arguments for God's existence
    1. Thomas Aquinas' "proofs"
    2. The ontological argument and other a priori arguments
    3. The argument from beauty
    4. The argument from personal "experience"
    5. The argument from scripture
    6. The argument from admired religious scientists
    7. Pascal's Wager
    8. Bayesian arguments
  4. Why there almost certainly is no God
    1. The Ultimate Boing 747
    2. Natural selection as a consciousness-raiser
    3. Irreducible complexity
    4. The worship of gasps
    5. The anthropic principle: planetary version
    6. The anthropic principle: cosmological version
    7. An interlude at Cambridge
  5. The roots of religion
    1. The Darwinian imperative
    2. Direct advantages of religion
    3. Group selection
    4. Religion as a by-product of something else
    5. Psychologically primed for religion
    6. Tread softly, because you tread on my memes
    7. Cargo cults
  6. The roots of moralty: why are we good?
    1. Does our moral sense have a Darwinian origin?
    2. A case study in the roots of morality
    3. If there is no God, why be good?
  7. The "Good" Book and the changing moral Zeitgeist
    1. The Old Testament
    2. Is the New Testament any better?
    3. Love thy neighbour
    4. The moral Zeitgeist
    5. What about Hitler and stalin? Weren't they atheists?
  8. What's wrong with religion? Why be so hostile?
    1. Fundamentalism and the subversion of science
    2. The dark side of absolutism
    3. Faith and homosexuality
    4. Faith and the sanctity of human life
    5. The Great Beethoven Fallacy
    6. How "moderation" in faith fosters fanaticism
  9. Childhood, abuse and the escape from religion
    1. Physical and mental abuse
    2. In defence of children
    3. An educational scandal
    4. Consciousness-raising again
    5. Religious education as a part of literary culture
  10. A much needed gap?
    1. Binker
    2. Consolation
    3. Inspiration
    4. The mother of all burkas

Vorwort

  1. Warum überhaupt so ein umfangreiches Buch? (S. 7/8)

    Doch es spricht für sich, dass Dawkins ein 560 Seiten starkes Buch verfasst hat, in dem er behauptet, Gott sei eine Wahnvorstellung.

    Wofür spricht das? Dass Dawkins der Ansicht ist, was man zum Thema Religion wissen sollte, passe nicht auf 30 Seiten? OK. Und? Oben steht das Inhaltsverzeichnis. Was davon ist denn in diesem Zusammenhang uninteressant? Selbstverständlich ist nicht alles gleichermaßen wichtig. Im Grunde könnte man einen Einzeiler verfassen:

    Dass es Gott gibt, ist nur eine unbewiesene, in höchst widersprüchlichen Versionen aufgestellte Behauptung. An Gott zu glauben ist deshalb unvernünftig.

    Das ist die harte Tatsache, die den Kern des Atheismus ausmacht. McGrath könnte Dawkins also genauso vorwerfen, dass er überhaupt ein Buch zu dem Thema geschrieben hat.

  2. Evolution ist kein Widerspruch zur Religion (S. 10/11 )

    [Warum ist McGrath gläubig?] Eine mögliche Antwort lautet: Weil ich an Gott glaube, bin ich geistig umnachtet, einer Täuschung aufgesessen, übers Ohr gehauen worden und selbst ein Betrüger. [...] Ich fürchte, beide Erklärungsansätze entsprechen inhaltlich der Antwort, die sich auf den Seiten von Der Gotteswahn findet. [...] Ausgangspunkt einer wirklichen Antwort sind ein paar weise Worte von Stephen Jay Gould. [...] Obgleich er selbst Atheist war, hegte Gould keinen Zweifel daran, dass die Naturwissenschaften – auch die Evolutionstheorie – sowohl mit dem Atheismus als auch mit gängigen religiösen Überzeugungen vereinbar sind.

    Wow. Er ist als religiös geworden, weil er das nach Gould sein kann, ohne mit der Wissenschaft in direkten Konflikt zu geraten. Das ist ja wirklich beeindruckend – für einen Theologieprofessor! Dann macht er wahrscheinlich auch alles andere, was ihn nach Meinung Gelehrter nicht in einen solchen Konflikt bringt. Oder wie?

    Dawkins bestreitet Goulds Aussage formal nicht wirklich. Er sagt nur, es sei dermaßen unwahrscheinlich, dass die Gottesannahmen korrekt seien, dass es Unsinn sei, sie zu übernehmen – direkte Konflikte mit der Wissenschaft hin oder her.

    Schon diese intellektuelle Entgleisung im Vorwort lässt auch den wohlwollenden Betrachter lächeln. So jemand hält Dawkins selektive Wahrnehmung und einen Mangel an Wissenschaftlichkeit vor? Jemand, der die selbst aufgeworfene (und in der Tat sehr relevante) Frage nach der Basis der eigenen Gläubigkeit derart lächerlich "beantwortet"?

Getäuscht, was Gott betrifft?

  1. Dawkins benutzt die falsche Definition von "Glauben" (S. 19)

    Glaube ist das blinde Vertrauen auf die Abwesenheit von Fakten, selbst angesichts von Fakten. Er ist ein Vorgang des Nicht-Denkens. Er ist böse, eben weil er keine Beweise braucht und keine Argumente duldet. [...] Es ist keine christliche Definition des Glaubens, sondern eine, die Dawkins zu seinen polemischen Zwecken erfand.

    Es gibt keine christliche Definition von Glauben, die im Gegensatz zu Dawkins' steht. Glauben ist die Übernahme von Annahmen, die nicht (nach menschlichem Ermessen...) bewiesen sind. Da kann man an der Formulierung drehen, wie man will. Ein weiterer Lacher ist übrigens, dass ausgerechnet der Dogmatiker McGrath an dieser Stelle keine "christliche Definition" bringt, obwohl seine Prügel auf Dawkins geradezu danach schreien.

    Natürlich kann ein Christ behaupten, er denke. Er kann aber nicht ernsthaft bestreiten,

    • dass er blind auf die Existenz Gottes vertraut

    • dass Denken einen nicht zum Glauben führt (zu welchem denn? Haha)

    Welches Argument könnte denn einen nach "christliche Definition" glaubenden Menschen (mehr oder weniger) zwingend vom Glauben abbringen, wenn er für sich in Anspruch nimmt, Argumente zu beachten? Es geht mir natürlich nicht um den Inhalt des Arguments, sondern um seine Struktur. Dass Gott wissenschaftlich weder bewiesen noch widerlegt werden kann, ist klar. Es gibt auch kein belastbares Argument für den Glauben. Man will glauben, so einfach ist das. Wo aber die Entscheidung ohne Pro-Argument gefällt wird, kommt ein Contra schwerlich dagegen an.

    Wir halten fest: Wortklauberei, ohne es besser zu machen. In der Sache hat Dawkins natürlich recht.

  2. Widerspruch zur angeblichen Infantilität von Religion (S. 21/22)

    In früheren Werken betont er, wer an Gott glaube, könne genauso gut an die Existenz der Zahnfee oder des Weihnachtsmanns glauben. [...] Wie viele Menschen kennen Sie, die als Erwachsene angefangen haben, an den Weihnachtsmann zu glauben? Oder wer findet Trost im Glauben an die Zahnfee, wenn er alt ist? [...] Wer das Infantilitätsargument anführt, muss erklären, warum so viele Menschen erst als Erwachsene den Glauben entdecken

    Da muss ich den guten McGrath doch mal aus seinem Vorwort zitieren: Erstaunlicherweise finden sich kaum wissenschaftliche Analysen in Der Gotteswahn. Statt dessen gibt es eine Menge pseudowissenschaftlicher Spekulationen [...]. Oha. Und jetzt noch mal aus dem aktuellen Text: warum so viele Menschen erst als Erwachsene den Glauben entdecken. Ist das Analyse oder Spekulation? Harte Tatsache ist, dass sehr viel mehr Erwachsene den Glauben verlieren als ihn entdecken. Wie kommt er eigentlich darauf, dass es "viele" seien? Ich kann das mit meiner Lebenserfahrung nicht bestätigen. Dass er als Mann der Kirche "viele" solche Menschen kennt, kann ich mir gut vorstellen, aber wer würde denn sein Umfeld als repräsentativ ansehen? Ist das also wissenschaftliche Analyse seitens McGrath oder vielleicht eher pseudowissenschaftlicher Spekulation? Und wie repräsentativ sind die beiden Gruppen? Wie steht es mit der Korrelation schwerer persönlicher Krisen (die wohl kaum das Erkennen der reinen Wahrheit erleichtern) und der Entdeckung des Glaubens? Ist Wahrheit jetzt Demokratie? Selbst wenn: die Abstimmung verliert McGrath. Was also will er uns damit sagen? Natürlich hat Dawkins recht mit seiner Einschätzung, dass Kinder für Religion viel anfälliger sind als Erwachsene. Genau das sehen wir. Ein paar Idioten gibt es immer. Was sollen die beweisen?

  3. Dawkins hat keine Ahnung von Theologie (S. 24)

    [Zitat des Kultur- und Literaturkritikers Terry Eagleton] Stellen Sie sich vor, es lässt sich jemand über Biologie aus, der nicht mehr über das Fach weiß, als in einem Buch über die Vögel Großbritanniens steht. Dann haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie es sich liest, wenn Richard Dawkins über Theologie schreibt.

    Ich werde den Verdacht nicht los, dass die Geisteswissenschaftler, die es über Jahrhunderte nicht geschafft haben, Religion zu entsorgen, sich jetzt nicht von den Naturwissenschaftlern auf dieser Spur überholen lassen wollen und daher die Ansicht vertreten, mit ihnen könne man nur diskutieren, wenn man sich ihr Know-How aneigne.

    Das totale Versagen dieses Kritikversuchs liegt ganz platt darin, dass Dawkins nicht über Theologie schreibt. Ende der Durchsage. Wenn ein Literaturkritiker nicht einmal merkt, wovon ein Buch handelt, sollte er mit der Herabwürdigung der Kompetenz anderer ganz vorsichtig sein. Ein Blick in das oben von mir zitierte Inhaltsverzeichnis macht klar, dass Dawkins kein Buch mit theologischer Argumentation verfasst hat. Er zitiert ab und an die Bibel, das sei ihm gegönnt. Wie viel muss man über Theologie gelesen haben, damit man "versteht", dass Lot entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Bibel seine jungfräulichen Töchter nicht dem tobenden Mob vor seinem Haus zur Massenvergewaltigung angeboten hat? Der Vorwurf an Dawkins ist so schwerwiegend und die Zahl seiner im weitesten Sinne (also etwa Bibelzitate) theologischen Aussagen so gering, dass er mühelos jede einzelne davon hätte zerpflücken können. Mit wie vielen macht er das? Richtig, mit keiner einzigen. So viel zum Paradigma wissenschaftliche Analyse statt pseudowissenschaftlicher Spekulation.

  4. Dawkins missversteht Thomas von Aquin (S. 29/30)

    Dawkins missversteht die Folgerichtigkeit des Glaubens a posteriori als Beweis des Glaubens a priori

    Die Gottesbeweise Thomas von Aquins sind recht bekannt. Dass Dawkins sich mit ihnen befasst, ist völlig legitim. Ob nun a priori oder a posteriori: Beweis ist Beweis. Selbst wenn McGrath damit recht hat, dass Thomas von Aquin darin keine echten Beweise gesehen haben sollte, darf man doch bezweifeln, dass das in der allgemeinen Wahrnehmung bekannt ist. Dass Dawkins das so sieht, geht aus seinem Buch nicht hervor; er befasst sich mit der Frage allerdings nicht. McGrath muss sich aber fragen lassen, welche Relevanz seine Kritik hat. Dawkins schrieb ein Buch, dass den Lesern klar machen soll, dass man Religion nicht braucht, um die Welt zu erklären. Da drängt es sich doch auf, sich mit den historischen Gottesbeweisen zu befassen, über die Dawkins selber schreibt, dass nur einer von denen heute noch relevant sei (in Form der Intelligent Design-Bewegung). Was ist daran nun unwissenschaftlich oder spekulativ, Gelaber oder langweilig? Dass die aktuelle Theologie diese Erklärungen nicht als Gottesbeweis ansieht, kann man Dawkins nicht vorwerfen, zumal er das nicht behauptet. Er schrieb ein Buch für Laien. Die meisten von denen kannten, davon gehe ich aus (ganz pseudowissenschaftlich-spekulativ), weder diese "Gottesbeweise" noch die Kritik daran.

  5. unendlicher Regress als einzige Erklärung (S. 31)

    Ein komplettes Kapitel widmet Dawkins einem Argument, oder besser gesagt der losen Zusammenstellung von Behauptungen, mit dem Resultat: ...mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gibt es keinen Gott. Da diese weitschweifige Pastiche kaum gegliedert ist, fällt es schwer, dem Hauptargument zu folgen. Es scheint jedoch in Zusammenhang mit der Frage zu stehen: Wer hat dann Gott geschaffen? Jeder Gott, der fähig ist, irgendwas zu erschaffen, müsste mindestens so komplex sein, um dasselbe für sich zu beanspruchen. Gott stellt einen endlosen Regress dar, dem wir auch mit seiner Hilfe nicht entkommen können. [...] Allerdings muss an dieser Stelle auf eine Sache hingewiesen werden: Der heilige Gral der Naturwissenschaften ist die Suche nach der einen großen vereinheitlichten Theorie, – der "Weltformel". Warum hält man eine solche Theorie für so wichtig? Weil sie alles erklären könnte, ohne selbst eine Erklärung zu verlangen.

    In der Taschenbuchausgabe ist dieses Kapitel 52 Seiten lang. Und das meint McGrath derart zusammenfassen zu können? Welche Behauptungen sollen das denn sein? Kann man die vielleicht einfach mal hinschreiben, wenn man sie schon zur großen Keule erhebt? In der Tat befasst Dawkins sich mit der Frage der nichtreduzierbaren Komplexität, und auch das gerade zitierte Argument ist dabei. Der Verweis auf die Weltformel ist albern. Man schmunzelt, wie der Theologe plötzlich dazu kommt, mit den Sakramenten der Naturwissenschaften zu hantieren, nachdem er sich so deutlich über Dawkins' vermeintlich fehlende Kompetenz mokiert hat. Ich glaube auch nicht, dass Physik, Chemie und Biologie alle denselben heiligen Gral haben – ganz zu schweigen von der Mathematik. Für die Physiker hat er recht, bei denen steht TOE, die Theory Of Everything, hoch im Kurs. Aber ob er den Grund dafür verstanden hat? Vielleicht sollte er wenigstens mal den Wikipedia-Eintrag dazu lesen. Die TOE würde nicht erklären, wie das Universum entstanden ist, sondern wie es sich verhält. Ohne zwischen den vier Naturkräften unterscheiden zu müssen. Sie könnte auch nicht alles erklären, sondern lediglich die Zusammenhänge der Elementarteilchen. Für die Beschreibung der makroskopischen Welt eignen sich die heutigen Theorien nicht und wird sich auch die TOE nicht eignen.

    So ganz am Rande könnte man darauf hinweisen, dass McGrath sich mit dem, was er als Dawkins' Kernargument identifiziert, nicht auseinandersetzt. Er springt direkt von Dawkins' Argument zu seinem eigenen vermeintlichen Gegenschlag auf die Naturwissenschaften (als ob das irgendwas mit dem Theologieproblem zu tun hätte). Er meint, wenn Dawkins mit seiner schnoddrigen und simplifizierenden – was ist denn an Wer schuf den Schöpfer? simplifizierend? – Argumentation recht hätte, dann wäre die Suche nach der TOE hinfällig. Er erklärt nicht, warum Dawkins' Argument falsch sei. Und man darf davon ausgehen, dass er dessen Argumente lieber als falsch bezeichnet als nur als simplifizierend – wobei letzteres sich natürlich viel leichter behaupten lässt. Er erklärt auch nicht, warum die Suche der Physiker nach immer besseren mathematischen Modellen der Welt vergleichbar sein soll mit der keiner Empirie unterworfenen, alles und doch nichts erklärenden These eines Gottes als erster Ursache. Selbst wenn man so tut, als wären beide Probleme vergleichbar, dann hätte McGrath nur gezeigt, dass der Erkenntnis der Physiker Grenzen gesetzt sind (nichtsdestotrotz werden sie in ihrem "hypothetisch hoffnungslosen" Unterfangen immer besser, was man vom Wissen der Theologen über "Gott" nun so gar nicht behaupten kann). Dawkins scheint also ein Argument gegen die Gottesidee zu haben, dem (selbst in einer simplifizierenden Form!) nicht mal ein Theologieprofessor widersprechen kann. Konsequenterweise hätte er an der Stelle aufhören sollen, sein Buch zu verfassen.

  6. das anthropische Prinzip (S. 32/33)

    Dawkins führt dann ein Argument an, das kaum Sinn macht. Weder in Form der knappen und hastigen Darstellung in Der Gotteswahn noch in ausführlicheren Varianten, die er an anderer Stelle zum Besten gibt. In einer eher lückenhaften und lächerlichen Darstellung des Anthropischen Prinzips stellt Dawkins die enorme Unwahrscheinlichkeit unserer Existenz heraus. Der Glaube an Gott, fährt er fort, entspricht dem Glauben an ein Wesen, dessen Existenz noch weitaus komplexer sein muss – und demnach auch weitaus unwahrscheinlicher. Doch dieser Sprung von der Erkenntnis einer Komplexität hin zur Behauptung von deren Unwahrscheinlichkeit ist höchst problematisch. Warum muss etwas Komplexes gleich unwahrscheinlich sein? die Weltformel mag komplexer sein als die untergeordneten Theorien, die sie erklärt – aber was sagt das über ihre Unwahrscheinlichkeit aus? [...] Das Problem besteht demzufolge nicht darin, ob Gottes Existenz wahrscheinlich ist. Die Frage lautet, ob Gott real ist.

    Welches Buch hat McGrath eigentlich gelesen? Er tut so, als führe Dawkins das anthropische Prinzip als Argument gegen Gott an. Hätte McGrath Dawkins' Buch gelesen, dann wäre ihm aufgefallen, dass Dawkins sich mit einem Argument der Theisten beschäftigt (der Unwahrscheinlichkeit der Entstehung von Leben ohne Gott als Auslöser). Seine Kernaussage ist, dass die Entstehung von Leben als extrem viel unwahrscheinlicher angenommen werden kann als die späteren Schritte der Evolution – ganz banal deshalb, weil das Leben nur einmal entstehen musste. Weshalb McGrath Dawkins Schilderung des anthropischen Prinzips lückenhaft und lächerlich findet, bleibt sein Geheimnis, weil er selbst diese drastische Wortwahl nicht zum Anlass nimmt, seine Bewertung auch nur irgendwie zu begründen. Weder bringt er eine eigene Schilderung, noch weist er auf konkrete Probleme in Dawkins' Darstellung hin. Ein Blick auf den Wikipedia-Artikel mag erhellend sein. In der deutschen Ausgabe gibt es übrigens eine Anmerkung des Übersetzers, die das anthropische Prinzip kurz erklärt (als wäre das ein Übersetzungsproblem), die über fünf Zeilen geht (und damit sicher weder lückenhaft noch lächerlich ist...). Zwischen dem stellt Dawkins die enorme Unwahrscheinlichkeit unserer Existenz heraus. und dem unmittelbar angrenzenden Der Glaube an Gott, fährt er fort, liegen in der englischen Taschenbuchaushabe übrigens locker flockig 20 Seiten. Schlimmer noch: Der angesprochene Text steht nicht einmal mehr in den zwei Kapiteln(! – Stichwort lückenhaft und lächerlich) über das anthropische Prinzip, sondern dahinter, in einem ganz anderen Zusammenhang. Dawkins widerspricht (im Rahmen einer Podiumsdiskussion) der Ansicht, Gott sei eine einfache Erklärung, weil Gott per definitionem weder einfach noch eine Erklärung sei. Er nennt Gott auf Grund seiner Komplexität statistisch unmöglich. Wenn McGrath den Zusammenhang zwischen Komplexität und Wahrscheinlichkeit bestreitet, dann können konsequenterweise die Komplexität und Schönheit keine Argumente mehr für Gott sein – auf dem Umweg, dass sie ohne ihn ja so unwahrscheinlich seien.

    Natürlich ist es schwierig, bezogen auf die Existenz Gottes von Wahrscheinlichkeit zu reden, weil völlig unklar ist, worüber wir reden. Über die Entstehung eines Gottes aus dem "nichts"? Wohl kaum. Das ist aber die Perspektive von Dawkins in seinem Wahrscheinlichkeitsargument (Entstehung der Welt und des Lebens und seiner Vielfalt aus dem "nichts"). Völlig albern ist natürlich der Vergleich Gottes mit der Weltformel. Das fängt schon damit an, dass die Weltformel unsere heutigen Modelle nicht erklären, sondern vereinheitlichen wird. Dabei mögen einige Aspekte erklärt werden, aber eher als Nebeneffekt. Jedenfalls ist die Weltformel nicht in dieser Kategorie zu bewerten. Wir wissen, dass die beobachtbare Welt mehr oder weniger festen Regeln folgt. Das ist die Situation der Menschheit seit tausenden von Jahren. Wir verstehen diese Regeln immer besser. Dass wir nicht genau wussten oder auch heute noch noch wissen, wie sie aussehen, ändert nichts daran, dass wir wissen, dass sie existieren. Als wie kompliziert sie sich dann am Ende erweisen, ist dafür unerheblich. Nicht immer folgen die Regeln den Strukturen, die wir erwarten, aber auch das ist weniger eine Frage der Komplexität, zumal es – umgekehrt – ja oft gerade so ist, dass es eben nicht so einfach ist, wie die Menschen sich das dachten, sondern viel komplizierter.

    McGrath hat tatsächlich einmal recht mit dem Hinweis, dass es nicht um Gottes Wahrscheinlichkeit, sondern dessen Existenz gehe. Bei näherer Betrachtung ist diese Aussage natürlich reichlich dämlich, weil die Frage nach der Wahrscheinlichkeit sich immer nur so lange stellt, bis das fragliche Ereignis oder Ergebnis feststeht. Wissen wir, ob Gott existiert? Nein. Wir können uns also denkgrundsätzlich (unter der – gut begründeten – Annahme, dass das immer so bleiben wird) nur mit der Frage befassen, wie wahrscheinlich er ist. Was also möchte McGrath uns damit sagen, abgesehen davon, dass er nicht einmal versteht, worüber er eigentlich redet.

  7. nur exotische Christen betrachten Nichtverstehen als Tugend (S. 35)

    [Zitat von Dawkins] Eine der wirklich traurigen Folgen von Religion besteht darin, dass sie uns lehrt, es sei eine Tugend, sich mit Nichtverstehen zufriedenzugeben. Das mag für ein paar eher exotische Richtungen christlicher Theologie stimmen; es trifft jedoch in gar keiner Weise für die meisten christlichen Richtungen zu.

    Es erscheint etwas unangemessen, bei der Bewertung von Religion nur den status quo zu betrachten und die letzten Jahrtausende auszublenden. Die Kirche lag seit jeher mit der Wissenschaft im Clinch, das bedarf keiner tiefgehenden Betrachtung. Wenn das heute anders ist, dann ist das kaum der Weisheit der Religion, ihrer Führer und Gläubigen zuzuschreiben, sondern äußeren Einflüssen, denen sie sich nicht verschließen konnten. Außerdem spricht Dawkins von Religion, McGrath vom Christentum. Selbst wenn er recht hätte, wäre das ein arg asymmetrisches Gegenargument. Es mag sein, dass in den heiligen Schriften nicht explizit steht Du sollst nicht forschen oder dergleichen, aber das ist offensichtlich auch nicht nötig, um die von Dawkins angesprochene Wirkung zu erreichen. Wie sieht er denn aus, der status quo? Über einhundert Millionen denkbehinderte Amerikaner und immer noch ein nicht vernachlässigbarer Teil der Europäer glauben, dass die Erde in sieben Tagen erschaffen wurde und nur wenige tausend Jahre alt sei. Ganz zu schweigen von der beinahe militanten Intelligent Design-Bewegung. Da gilt überall das sozialistische Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Wissenschaft ist der Feind, sobald sie Ansichten vertritt, die nicht mit der "Offenbarung" kompatibel sind.

Getäuscht, was Gott betrifft?

  1. Die Naturwissenschaft hat Grenzen (S. 42-47)

    Am wichtigsten ist jedoch, dass es viele Fragen gibt, die naturgemäß außerhalb des legitimen Geltungsbereiches empirischer Methoden liegen. Ein Beispiel: Verfolgt die Natur eine Absicht, ein Ziel? Dawkins hält dies für eine unberechtigte Frage. Dennoch ist es kaum illegitim, diese Frage zu stellen oder zu hoffen, eine Antwort darauf zu finden.

    Natürlich gibt es Fragen, die außerhalb der Grenzen der Naturwissenschaft liegen. Aber was hat McGrath damit gewonnen? Mir scheint, in seinem kindlich anmutenden Verständnis hat die Religion durch diese Feststellung gepunktet. Das Gegenteil ist der Fall. Sein Punkt ist letztlich, dass eine Instanz ihre Autorität in einer Frage nachweisen muss. Das kann die Naturwissenschaft in manchen Fällen nicht. Allerdings gilt das viel mehr noch für die Religionen. Denn die können nun wirklich gar keine Autorität für sich in Anspruch nehmen. Weder die Existenz des von ihnen behaupteten Gottes ist nachgewiesen noch die Verlässlichkeit ihrer Quellen (die Bibel ist ein irreführendes Zufallsflickwerk) oder gar deren Auslegung.

    Es ist in der Tat unsinnig, die Frage zu stellen, ob die Natur eine Absicht oder ein Ziel verfolge, weil die Natur kein Bewusstsein hat, nicht einmal eine Instanz ist. Ziel kann man natürlich so verstehen, dass die Frage sinnvoll wird, etwa als allgemeine Tendenz (im Gegensatz zu einem "moralischen" Ziel), die sich ohne Bewusstsein und zentrale Steuerung ergeben kann, aber bei diesem Verständnis wäre es wieder eine naturwissenschaftliche Frage. Viel spannender ist doch die Frage, welche Disziplin sich berufen fühlen darf, dieser Frage nachzugehen. Die Religion? Wenn ja, warum? Und vor allem: Welche eigentlich?

    Man mag McGrath einen halben Punkt dafür geben, dass er gezeigt hat, dass die Naturwissenschaft der Religion nicht positiv die Existenzberechtigung entzogen hat. Aber was für eine armselige Verteidigung der Religion ist das? Gerade in dem Zusammenhang, dass Autorität nachgewiesen werden muss. Warum sollte man denn religiös sein, Herr McGrath, weil es Fragen gibt, die weder Naturwissenschaft noch Geisteswissenschaft oder Religion autoritativ beantworten können? Herzlichen Glückwunsch, wenn das kein guter Grund ist.

  2. NOMA (S. 48)

    Für Dawkins gibt es nur ein einziges Magisterium – die empirisch fassbare Realität. Sie sei die einzige Wirklichkeit, die existiere. Die Vorstellung, der Theologie in manchen Fragen Kompetenz einzuräumen, sei ungeheuerlich. Warum sind Wissenschaftler nur so feige respektvoll gegenüber den Ambitionen von Theologen, die doch ganz sicher nicht qualifizierter sind, Antworten zu geben, als die Wissenschaftler selbst? Das ist nette Rhetorik, hilft jedoch bei der Beantwortung der Fragen, die Gould zu Recht aufwarf, nur leider falsch beantwortete, überhaupt nicht weiter.

    Das hilft also nicht weiter. Im Gegenteil, genau das ist der Punkt. Wikipedia, für manch einen mag das eine hinreichende Autorität sein (zumal in Ermangelung einer besseren Definition), sagt: Theologie bedeutet übertragen die Lehre von Gott oder Göttern im allgemeinen, und im besonderen die Lehre vom Inhalt des (meist christlichen) Glaubens und den Glaubensdokumenten. Theologen sind also kompetent in allen Fragen, die etwa so aussehen: Was sagt die Bibel zum Thema XY? Dementsprechend können Theologen keinerlei Kompetenz für sich in Anspruch nehmen, wenn sie ohne Berufung auf (z.B.) die Bibel zu einem Thema sprechen. Welche Relevanz hat die Ansicht eines christlichen Theologen für jemanden, der nicht an Gott und die Bibel glaubt? Was ist es aber für eine Kompetenz, die von Betrachter zu Betrachter um 100% schwankt? Selbstverständlich erklärt McGrath trotz der expressis verbis aufgeworfenen Problematik mit keinem Wort, worin die Kompetenz der Theologie begründet sein soll. Schon schade, wenn er als Theologe das nicht hinkriegt.

  3. es gibt gläubige Wissenschaftler (S. 50-59, Zitat S. 55)

    Man kann die Natur auf verschiedene Weise angemessen interpretieren. Sie kann durch die atheistische, deistische, theistische und viele andere Brillen betrachtet werden – doch keine davon ist zwingend.

    Ganz nebenbei: Welche vielen anderen Brillen das sein sollen, würde mich schon interessieren... Er bringt Umfrageergebnisse zur Zahl der gläubigen Wissenschaftler. Er erwähnt, dass Dawkins meint, ein Wissenschaftler könne eigentlich nur Atheist sein. McGrath hat recht damit, dass man gleichzeitig gläubig und ein guter Naturwissenschaftler sein kann. Aber das allein, ebenso die beachtliche Zahl gläubiger Wissenschaftler (die bei den Nobelpreisträgern übrigens auf einen verschwindend geringen Anteil schrumpft) ist kein Beleg dafür, dass es irgendwie sinnvoll oder vernünftig sei, an Gott zu glauben. Ob Dawkins recht hat, ist keine Frage der Demokratie. Wie viele Wissenschaftler sind gläubig, denen nicht als kleines Kind das Märchen vom lieben Gott eingetrichtert wurde? Und wie viele ungläubige Wissenschaftler wurden atheistisch oder agnostisch erzogen? Die Tendenz spricht für Dawkins, aber das ist McGrath natürlich egal. Wenn die Wissenschaftlerumfrage ein Argument sein soll, dann sollte McGrath sagen, wie weit der Anteil der gläubigen Wissenschaftler fallen muss, damit er den Punkt an Dawkins gibt. Irgendwie ahne ich, dass in dem Fall aber wieder der Spruch käme, dass Gott außerhalb der Naturwissenschaft liege und die Meinung von Wissenschaftlern daher nicht relevant sei...

Woher stammt Religion?

  1. Dawkins könne den Ursprung der Religion nicht beweisen (S. 65ff.)

    [Argumentation Ludwig Feuerbachs] Also ist dieser nichtexistente Gott schlicht eine Reflexion, eine Spiegelung menschlicher Bedürfnisse. Das ist ein faszinierendes Argument, das die westliche Kultur nachhaltig beeinflusst hat. Allerdings hat das Ganze auch ein paar Haken. Zunächst beweist das Wollen einer Sache nicht, dass sie nicht existiert. [...] Darüber hinaus impliziert dieses Argument, dass alle Weltanschauungen eine Reaktion auf menschliche Bedürfnisse und Wünsche darstellen – und das schließt auch den Atheismus ein, der als Reaktion auf die menschliche Sehsnsucht nach moralischer Autonomie verstanden werden kann.

    McGraths Hinweis, die Aussage XY beweise die Nichtexistenz Gottes nicht, ist banal, da allgemein bekannt ist, dass die Existenz und Nichtexistenz eines sich versteckenden Gottes gleichermaßen nicht bewiesen werden können. Dawkins geht der reichlich berechtigten Frage nach, weshalb Religion so weit verbreitet ist, obwohl es doch gar keinen Gott gebe. Dafür liefert er schlüssige Erklärungen. Er muss nicht beweisen, welche davon "stimmt" (also den größten Einfluss hat), denn dass Religion auch ohne Gott existiert, ist unmittelbar ersichtlich. Strenggenommen hat er mit seiner Klassifikation des Atheismus als Weltanschauung recht. Die intellektuell redlichste Haltung ist natürlich der Agnostizismus. Übrigens betrachtet Dawkins sich nicht als radikalen, sondern "nur" als überzeugten Atheisten (sechs auf einer Skala von eins bis sieben). Allerdings ist Atheismus eine Haltung, die die Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite hat. Wenn einem der Agnostizismus zu unentschlossen erscheint, muss man als intellektuell redlicher Mensch Atheist sein. Zumal man anmerken könnte, dass Agnostizismus nur in einer Welt (wie unserer) Sinn ergibt, in der mal jemand die Idee hatte, es könne so etwas wie einen Gott geben. Atheismus als Bedürfnisbefriedigung zu sehen, ist etwa so sinnvoll wie der Standpunkt, man sei aus empirischen Gründen gläubig. McGrath tut einfach mal so, als wären Theismus und Atheismus einfach zwei unterschiedliche Elemente derselben Kategorie, strukturell gleichwertig. Das ist albern.

    [Gemeint sind Dawkins und Dennett] Sie definieren Religion nahezu ausschließlich als Glauben an Gott. Doch weder macht dieser Aspekt allein Religion aus, noch ist er notwendigerweise der wichtigste. eine verlässlichere Beschreibung von Religion müsste eine Vielzahl von Aspekten berücksichtigen, etwa Wissen, Glaube, Erfahrungen, Rituale, soziale Zugehörigkeiten, Motive sowie Konsequenzen für das Verhalten.

    Das ist mal wieder billigste Wortklauberei. Natürlich ist der Glaube an eine transzendente Macht der Kern von Religion. Wie albern ist es, das zu betreiten? Wie definiert McGrath denn wichtig im Zusammenhang mit Religion? Die gelebte Praxis? Klar, in der Praxis sieht man nicht, was jemand glaubt. Da mögen sein Handeln und Reden wichtiger sein. Dennoch gibt es ohne Glaube keine Religion. Dawkins geht es um das Problem des Gottesglaubens und der irrationalen Folgen. Man kann natürlich auch die Sprache vergewaltigen, indem man nicht mehr von Religion spricht, sondern von etwas anderem. Was ist damit gewonnen? Wie heißt noch gleich das Buch, das McGrath kritisiert? Der Gotteswahn / The God Delusion. Worum es Dawkins geht, macht schon der Titel ganz klar. Wie sähe wohl eine Religion aus, die nur auf ihre Rituale pocht, ohne die mit göttlicher Verpflichtung zu untermauern? Ohne Glaube gibt es keine Religion. Wenn der Glaube verschwindet, hat sich auch der Rest erledigt.

    Auch Dawkins spekuliert herum und vermutet, dass ursprünglich natürliche Neigungen möglicherweise fehlgeleitet wurden und letztlich zu etwas genuin Religiösem wurden. Religion ist demnach ein zufälliges Nebenprodukt oder eine Fehlzündung von etwas Nützlichem. Dies scheint jedoch seinem eigenen universellen Darwinismus mehr als nur ein bisschen zu widersprechen, denn dieser meidet jede Form von Zielgerichtetheit. [...] Wie kann Dawkins von Religion als etwas Zufälligem sprechen? [...] Denn im Sinne des Darwinismus ist ja alles zufällig.

    Mir ist nicht recht klar, was McGrath Dawkins hier eigentlich vorhält, worin er den Widerspruch sieht. Er deutet einen sprachlichen "Widerspruch" an: Wenn alles zufällig ist, ist es sinnlos, ein Element herauszugreifen und als zufällig zu bezeichnen. Ich denke, Dawkins meint hier mit Zufall eine andere Ebene, nicht die der Entstehung, sondern die der Erhaltung. Darwinismus sagt aus, dass nur Bestand hat, was einen Nutzen schafft. Dinge können zufällig entstehen, aber nicht zufällig Bestand haben. Was Dawkins sagt, ist: Selbst wenn Religionsneigung an sich keinen Nutzen hat, kann sie Bestand haben, weil sie an ein anderes Merkmal gekoppelt ist (eine Art Abfallprodukt von diesem ist), das auf Grund eines Nutzens systematisch Bestand hat.

    Doch dies ist eher nebensächlich. Die Hauptkritik an dieser Theorie vom zufälligen Nebenprodukt ist der Mangel an ernsthaften Beweisen. Wo ist die Forschung? Welche Fakten untermauern eine solche Überzeugung? Wir finden Spekulationen und Vermutungen anstelle von Argumenten, die sich streng an Fakten orientieren und auf ihnen basieren – und die wir zu Recht erwarten können.

    Können wir die zu Recht erwarten? Es sei mir der Seitenhieb gestattet, dass die gesamte Theologie in diesem Sinne nur aus Spekulationen und Vermutungen besteht. Was sagt es aus, dass Dawkins seine Ansicht nicht beweisen kann? Es geht ihm doch nur darum, dem Leser die gängigen Erklärungen für die Verbreitung des Phänomens Religion vorzustellen. Dass Menschen religiös sind, wissen wir, das muss nun wahrlich nicht bewiesen werden. Er spricht – eher abfällig – von Theorien zum biologischen Ursprung von Religion, von Argumenten für die psychologische Herkunft von Religion. Was will er denn damit andeuten, dass es nichtbiologische Gründe gebe? Er traut sich jedenfalls nicht, das auszusprechen. Sehr bequem, die Position des Nörglers, der keine Alternative vorbringen muss. Meint er denn, der Herrgott selber sorge dafür, dass wir glauben? Wenn ja, warum tut er das nur bei manchen Menschen und bei immer weniger Menschen? McGrath kritisiert an anderer Stelle die Idee vom Gott der (wissenschaftlichen) Lücken. Und nun deutet er an, dass Gott, der sich nirgendwo zeigt, in die Psyche der Menschen direkt eingreifen soll? Ist das seine Gegenthese? Vielleicht meint er auch, es bedürfe keiner Neigung, weil die Begründer der Religion ja nicht hätten glauben müssen, sondern "gewusst" hätten, dass die Offenbarung stimmt. Selbst wenn der Mensch A einem leibhaftigen Gott begegnet, wird er B nur davon überzeugen, wenn B dafür empfänglich ist. Alle heutigen Gläubigen sind nur auf Grund ihrer Neigung gläubig, wenn man mal von höchst unwissenschaftlichen Erklärungen wie persönlichen Gotteserscheinungen absieht (die typischerweise Gläubigkeit nicht auslösen, sondern nur festigen).

    Was auch immer die Vorzüge von Religion sein mögen – diese Schriftsteller glauben, dass sie ausschließlich im Inneren des Menschen entstehen. Außerhalb von uns gäbe es keine spirituelle Wirklichkeit. Die Entstehung von Religion könne auf natürliche Weise erklärt werden. Am Ende bleibt das jedoch ein Zirkelschluss, der seine eigenen Schlussfolgerungen voraussetzt. Er beginnt mit der Voraussetzung, dass es keinen Gott gibt, und liefert dann eine Erklärung für Gott, die völlig auf dieser Voraussetzung basiert.

    McGrath ist wirklich naiv. Er ist Christ. Wie erklärt er sich denn die Entstehung der nichtabrahamitischen Religionen? Hat der eine Gott immer mal wieder 'ne neue Religion ausprobiert, inklusive der Vielgötterei, bis er irgendwann gemerkt hat, dass ihm das Christentum am besten gefällt (warum auch immer er dann den Islam noch nachgelegt haben sollte...)? Ziemlich absurd, dieser Gedanke. Als Christ muss er also sinnvollerweise annehmen, dass es auch nichtgöttliche Gründe dafür gebe zu glauben.

    Peinlicher ist aber sein Unverständnis der Argumentation: An keiner Stelle setzt Dawkins voraus, dass es keinen Gott gibt. Er setzt – implizit – lediglich voraus, was allgemein akzeptiert ist: Das Gott nicht objektiv erfahrbar ist und auch keine einheitliche individuelle Erfahrung darstellt, dass sämtliche Konfrontation mit Religion also rein menschlicher Art ist. Angenommen, es gibt einen Gott. Welcher Teil von Dawkins Argumenten wird dann hinfällig? Selbst wenn Gott – nehmen wir das Absurde mal an – durch direktes individuelles Eingreifen die Menschen dem Glauben gewogen macht, wäre es immer noch korrekt, dass es auch ohne ihn funktionieren würde, jedenfalls leicht erklärbar wäre. Wenn es Gott gibt, er aber nicht eingreift, haben wir die vorliegende Situation, wie sie allgemein angenommen wird und Ausgangslage für Dawkins' Erklärungen ist. Mal augenzwinkernd am Rande: Wenn der Mensch erst durch göttliches Eingreifen "glaubensfähig" würde, dann wäre es doch sinnvoll, wenn Gott den Menschen so geschaffen hätte, also von seiner Psyche her, dass er glauben kann. Dann aber hätten wir wieder eine biologische Ursache, auch wenn Gott die Biologie dann gestaltet hätte. Und natürlich dürften wir für die (implizite) Alternativspekulation McGraths, Gott greife direkt ins Bewusstsein ein und ermögliche so den Glauben, wenigstens so was wie ein Indiz erwarten. Anbieten kann er nicht mal einen sinnvollen Grund dafür, das zu glauben. Wir wissen ja, wie sich in der Vergangenheit die religiösen Behauptungen göttlichen Eingreifens als Erklärung der Phänomene der Welt gemacht haben: allesamt Lachnummern.

  2. fehlende Definition von Religion (S. 72 ff.)

    Für das seriöse Studium gleich welchen Sachverhalts oder welchen Phänomens ist eine eindeutige Definition dessen entscheidend, was genau erforscht wird. [...] Dawkins trägt diesem Problem Rechnung, indem er es umgeht. Er lässt sich ganz einfach nicht auf diese Frage ein. [...] Warum also geht Dawkins in Frazers Fußstapfen und reduziert die Religion auf eine einzige universelle Eigenschaft?

    So recht McGrath im allgemeinen hat, so wenig greift der Einwand hier. Ich möchte erneut auf den Titel des Buches verweisen. Auch wenn Dawkins über Religion spricht, so geht es ihm doch um Gott(esvorstellungen). Und selbst, wenn manche seiner Aussagen nicht auf "gottlose Religionen" zutreffen sollten, was dann? Dann hat Dawkins nicht allgemeingültig vormuliert. Na, und? Christentum, Islam und Judentum machen etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung aus und sind in dem Kulturkreis, in dem Dawkins für seine Ansichten wirbt, extrem dominant.

    Wenn man Dawkins zugesteht, dass er über manche Religionen zutreffende Aussagen macht (aber eben nicht für alle gemeinsam), dann gesteht man ihm einen Erkenntnisgewinn zu. Wenn man die Korrektheit seiner Aussagen bezweifelt, erscheint es sinnlos, auf deren Nichtallgemeingültigkeit herumzureiten.

  3. fehlende Definition von Religion – Teil 2 (S. 78 ff.)

    Wie sind der Glaube an Gott und die Religion miteinander verwandt? Dawkins scheitert an dieser kritischen Unterscheidung. Für ihn sind Religion und der Glaube an Gott nur zwei Seiten einer Medaille. Dieses unangemessene Vorgehen blendet die Frage, wie seine These zu nichttheistischen Religionen passen soll, nahezu völlig aus.

    McGrath scheint dieser Einwand so zu gefallen, dass er ihn wiederholt. Warum diese Unterscheidung nun kritisch sein soll, erklärt er natürlich nicht. Lustig ist, dass er selber (siehe den vorigen Punkt) von reduziert die Religion auf eine einzige universelle Eigenschaft spricht und damit den Gottesglauben meint. Wie kann denn der Glaube an Gott eine universelle Eigenschaft sein, wenn es gleichzeitig nichttheistische Religionen geben soll?

    Dawkins möchte eine darwinistische Erklärung für das Phänomen "Religion" liefern. Bezieht er sich nun auf den Glauben an Gott oder auf Religiösität? Oder auf beides?

    Dawkins hätte diese beiden Aspekte tatsächlich besser trennen können. Andererseits könnte man einfach seine Ausführungen lesen und verstehen; dann würde einem schnell klar, worauf er hinauswill. Dawkins spricht davon, dass ein universelles Phänomen darwinistisch erklärt werden können müsse. McGrath führt an, dass es Gläubige ohne religiösen Habitus gebe. Als ob die jemals als eigene Kultur existiert hätten und nicht nur Abfallprodukt einer religiösen Kultur wären.

    Sowohl Religiösität als auch der Glaube an Gott sind (zumindest nahezu) universelle Phänomene, folglich müssen nach Dawkins' Argumentation beide darwinistisch erklärt werden können. Das ist der entscheidende Punkt. Ob nun Religiösität der darwinistisch entscheidende Punkt und Gottesglaube sowie nichttheistische Spiritualität austauschbare Grundlagen dafür sind oder "umgekehrt", ist egal. Vor allem ergibt sich aus dem Kontext, wovon Dawkins spricht.

  4. Dawkins sei psychologisch nicht qualifiziert (S. 81 ff.)

    Sind wir psychologisch gesehen wirklich prädestiniert für Religion? Das ist eine wichtige Frage, die natürlich einer psychologischen Antwort bedarf. Doch schnell wird deutlich, dass Dawkins nicht qualifiziert ist, diese zu geben. [...] Hier haben wir es lediglich mit einer konfusen und irreführenden Darstellung eines für den Autor fremden Fachgebiets zu tun.

    Mag sein, dass Dawkins davon wenig Ahnung hat. McGrath vergisst aber zu erwähnen, dass Dawkins explizit sagt, dass es für ihn nicht wichtig sei, wie diese Frage neurologisch zu beantworten ist, weil seine Fragestellung eine qualitativ andere ist. Er verweist lediglich auf Literatur für den in dieser Frage interessierten Leser. Wenn diese Literatur tatsächlich wenig geeignet sein sollte, müsste Dawkins sich das natürlich vorhalten lassen. Aber mit dem eigentlichen Inhalt seines Buchs hat dieses Problem nichts zu tun.

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